Corticeira Amorim ist das größte Korkunternehmen der Welt. Der börsennotierte Konzern aus der Nähe von Porto produziert vor allem Wein- und Sektkorken, aber auch Hitzeschilder für Weltraumraketen, Sohlen für Birkenstock-Schuhe und Sitze für Hochgeschwindigkeitszüge. Zudem ist Kork auch ein sehr nachhaltiger Werkstoff, wie CEO Antonio Amorim der Redaktion von €uro am Sonntag bei einem Werksbesuch im nordportugiesischen Santa Maria de Lamas erzählt. Der 56jährige steht seit 2001 an der Spitze des Familienunternehmens. Dies ist die lange Fassung des in €uro am Sonntag Ausgabe 07/2024 erschienenen Interview. Das Interview führte Oliver Ristau.
Euro am Sonntag: Ihre Familie ist mit Corticeira Amorim seit vier Generationen im Korkgeschäft. Sie haben sich mit damals 34 Jahren entschieden, die Führung des Unternehmens zu übernehmen. Was fasziniert Sie an diesem Stoff?
Antonio Amorim: Kork ist absolut einzigartig. Je mehr man darüber erfährt, desto überraschter ist man. Er stammt von Eichenbäumen, die man nicht fällen muss. Man schält sie einfach. Kork ist also ein erneuerbares Material, das nachwächst und alle neun Jahre wieder geerntet werden kann. Seine Eigenschaften machen zudem eine Vielfalt von Produkten möglich. Ich kann mir in einer Welt, die immer mehr nach Nachhaltigkeit verlangt, keinen besseren Ort vorstellen als die Korkindustrie.
Sie machen 75 Prozent Ihres Geschäftes mit Wein- und Sektkorken. Schraubverschlüsse aus Aluminium sind deutlich günstiger. Bedroht das nicht Ihr Kerngeschäft?
Kork ist immer noch der dominante Flaschenverschluss mit einem Weltmarktanteil von 66 Prozent beim Wein. Das gilt zwar nicht für Deutschland, aber in Märkten wie den USA und Südeuropa.
Das Problem war, dass selbst hochwertige Weine korkig schmecken konnten durch die Kontaminierung mit der berüchtigten chemischen Verbindung TCA.
Das Problem ist gelöst. Wir setzen Technologien ein, die TCA eliminieren, ohne den Kork zu zerstören. Im gleichen Zuge haben wir Korken entwickelt, die noch hochwertiger sind.
Was heißt das?
Wir produzieren Korken für Weine des schnellen Konsums und solche, die über Jahre in der Flasche bleiben. Und man kann feststellen: die besten Weine der Welt bauen auf Kork. Weine entwickeln sich besser über Zeit mit Korken und nicht mit Aluminium oder Plastik. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Und wir haben mehr als 250 Millionen Euro dafür investiert.
Was haben Sie konkret getan?
Wir haben die Lagerhaltung bei den Korkrinden verändert. Wir haben früher 30.000 qm dafür vorgehalten. Jetzt sind es 600.000 qm. Wir arbeiten mit Dampf und modernen Technologien wie überkritischen Fluiden, um den Kork zu reinigen. Für das Hochpreissegment selektieren wir jedes Stück einzeln und von Hand.
Sehen Sie dort noch Wachstum?
Ja. Der Markt bei Premiumweinen wächst, zum Beispiel in den USA. Wir erwarten, dass die Menschen weniger, aber dafür besseren Wein trinken werden. Auch bei Schaumweinen rechnen wir mit Zuwächsen. Und im Spirituosenmarkt sind wir der Herausforderer gegenüber den Plastik- und Aluminiumverschlüssen.
Bleibt das Korkengeschäft so dominant wie heute verglichen mit den anderen Bereichen?
Aktuell machen Korkverschlüsse 75 Prozent, Bodenbeläge und Korkkomposite je zehn bis zwölf Prozent aus, der Rest sind Dämmstoffe. Die Segmente werden wachsen, aber die Korken bleiben dominierend.
Für die ersten neun Monate 2023 haben Sie im Konzern mehr Gewinn bei gesunkenen Umsätzen ausgewiesen. Hat sich die Tendenz im Gesamtjahr fortgesetzt?
Die finalen Zahlen werden sich nicht groß verändert haben. Das heißt, die Umsätze sind rückläufig geblieben. Wir werden bei einem Gesamtumsatz von rund einer Milliarde Euro herauskommen. Wie auch nach neun Monaten hat sich aber die Marge beim Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) auch im Gesamtjahr verbessert. Das liegt an gesunkenen Kosten und einem Upgrade unseres Produkt-Mix.
Sie verkaufen jetzt Korkprodukte profitabler?
Ja, wir waren in der Lage in den Bereichen zu wachsen, in denen wir eine bessere Marge erzielen. Das sind Korkanwendungen im Weltraum, im Sport, Kinderspielplätzen und bei Strom-Transformatoren. Diese Geschäfte sind profitabler als diejenigen, die wir aufgegeben haben. Das erklärt den gefallenen Umsatz, die Profitabilität ist dafür deutlich gestiegen.
Wo wird Kork denn im Weltraum eingesetzt?
Trägerraketen, die Satelliten ins All schießen, nutzen Kork, denn er ist resistent gegen Hitze und unterschiedliche Temperaturniveaus während der Reise. Deshalb haben alle Space Shuttle der NASA eine Nase aus Kork. Auch Space-X und andere Raketenbauer setzen Kork ein.
Weitere Beispiele?
Wir arbeiten an Schutzeinrichtung für die Batterien von Elektroautos. Wir ersetzen nicht-organisches Material in Kunstrasenplätzen, bauen Stationen für schwimmende Photovoltaikanlagen. Immer mehr Kork wird auch für Schuhe verwendet. Hier ist Birkenstock ein Beispiel.
Und diese Bereiche wollen Sie weiterentwickeln?
Für Kork gibt es keine Grenzen. Wir haben zehn Mitarbeiter, die konstant an neuen Möglichkeiten des Korkeinsatzes arbeiten. So sind wir auf die Idee gekommen, die schwingungsdämpfenden und schützenden Eigenschaften des Korks für Strom-Transformatoren einzusetzen. Wenn die Elektrifizierung weiter so vorankommt wie in vielen Staaten geplant, dann wird dieser Bereich sehr stark wachsen.
Dagegen waren die Bodenbeläge um rund ein Drittel rückläufig. Wie reagieren Sie?
Wir trennen uns von 50 Prozent des Portfolios und bieten künftig nur noch Produkte an, die kein PVC mehr enthalten, sondern ausschließlich korkbasiert sind. Diese Ausrichtung auf Nachhaltigkeit kommt im Markt gut an, wie wir auf den jüngsten Messen beobachten konnten. Wir investieren dafür zwölf Millionen Euro und erwarten für die Geschäftseinheit ein neutrales Ergebnis.
Welche Erwartungen haben Sie für 2024?
Im Moment sind die Märkte ruhig. Es gibt eine Weinschwemme, insbesondere am unteren Ende und das überall auf der Welt. Der Konsum wird außer bei Schaumweinen nicht steigen. Deshalb sind wir für 2024 weiter vorsichtig auf der Umsatzseite, aber unser Produkt-Mix wird sich weiter verbessern. Wir sehen einen Turnaround bei den Bodenbelägen, die Korkkomposite werden sich gut entwickeln. Wir schauen außerdem auf die Kosten. Insgesamt wird es ein herausforderndes Jahr.
Und langfristig?
Kork zusammen mit anderen natürlichen Materialien wird definitiv für neue Anwendungen sorgen und damit den Korkbedarf steigen lassen. Das Geschäft wird zulegen, wegen der Qualitäten bei Performance und Nachhaltigkeit.
Sie verfügen über eine starke Bilanz. Planen Sie Aktienrückkäufe?
Wir sind ein börsennotiertes Unternehmen, bei dem die Familie 72 Prozent der Anteile hält. Mit Rückkäufen würden wir den Freefloat reduzieren. Das wollen wir nicht. Stattdessen werden wir unsere großzügige Dividendenpolitik fortsetzen, damit unsere Aktionäre eine zusätzliche Rendite auf ihre Aktien erhalten. Zur Bilanz: sie ist komfortabel, auch wenn die Schulden 2023 angestiegen sind. Das können wir in 2024 korrigieren.
Gibt es Übernahmepläne?
Wir flankieren unser angestrebtes organisches Wachstum gerne mit Übernahmen. So haben wir in der Vergangenheit in eines der größten Unternehmen investiert, das Drahthauben für Sektverschlüsse produziert, und in den Korkvertrieb in der Schweiz. Außerdem gehen wir gleichberechtigte Partnerschaften ein, zum Beispiel mit einem Unternehmen für Glaskorken in Tschechien, einem Weingut in Frankreich oder Korken in Argentinien. Es gibt aber aktuell weder die Notwendigkeit noch konkrete Pläne für Zukäufe.
Sie erwarten ein Wachstum der Korknachfrage. Woher beschaffen Sie Ihre Rohstoffe?
Wir haben in den letzten Jahren 8.000 Hektar an Flächen mit bestehenden Korkwäldern erworben. Die liefern weniger als ein Prozent unseres Bedarfs. Den Rest kaufen wir über private Eigentümer ein.
Soll es dabei bleiben?
Wir wollen selbst 1,5 Millionen neue Bäume pflanzen, und zeigen, dass wir die Zeit bis zur ersten Ernte von heute 25 auf zehn bis zwölf Jahre reduzieren können. Dadurch würde sich ein Investment in einen Korkeichenwald innerhalb von 30 Jahren rechnen. Und das macht es für Pensionsfonds und Versicherungen interessant, die nach nachhaltigen Langfristinvestments suchen, die CO2-Gutschriften bringen.
Fazit
Die Portugiesen sind die Nummer eins der weltweiten Korkproduktion. Analysten sind allesamt positiv gestimmt für die Aktie.