Mark Stevens, Unternehmer und Multimillionär, hat mit „King Icahn“ ein Buch über den akti­vistischen Investor und Milliardär Carl Icahn geschrieben, das nun erstmals auf Deutsch vorliegt.  Ein Gespräch über einen Mann, der die Finanzwelt verändert hat. Das Interview war zuerst in der aktuellen EuramS-Ausgabe (Nr. 02/2024) zu lesen. Hier nun die ausführliche Fassung mit weiteren Fragen und Antworten am Ende.

€uro am Sonntag: Herr Stevens, Ihr Buch über Carl Icahn ist ein Klassiker der Börsenliteratur und in den USA bereits 1993 erschienen. Warum ist „King Icahn“ immer noch lesenswert?

Mark Stevens: Es ist interessant zu sehen, wie ein Mann aus der unteren Mittelschicht, der nie einen Wirtschaftskurs belegt hat, eine Eingebung hat, wie die Finanzmärkte funktionieren, und wie er sie verändern kann. Dann geht er raus und tut das tatsächlich. Er wird zum ersten bekannten aktivistischen Investor und häuft ein gigantisches Vermögen an. Icahns Ansatz ist bis heute ein Vorbild für Investoren.

Die Figur des Gordon Gekko im Film „Wall Street“ ist an Icahn angelehnt. Wie haben Sie den Finanzprofi erlebt, der Unternehmenschefs seinen Willen aufgezwungen hat?

Ich vergleiche ihn oft mit einem Rhodesian Ridgeback. Er hat schwache CEOs gesehen, sprang ihnen auf den Rücken und ging ihnen an die Halsschlagader. Was er tat, war ein großartiger Zaubertrick. Seine Formel lautete: Aktien kaufen, sich einen Platz im Board erzwingen, Proxykämpfe ausfechten, die Gegenseite in Verlegenheit bringen und den Rest der Wall Street auf seine Seite ziehen. Er gewann viele Male. Dafür brauchte er viel Mut, enorme Intelligenz und finanzielles Geschick.

Icahn wurde zu einem Weltklasse­sportler in einem Spiel, das er selbst erfunden hat?

Ja, es ist ein bisschen wie mit einem Wunderkind. Man schaute ihm zu und fragte sich: „Wow, wie macht er das?“ Und er brachte alle anderen dazu mitzuspielen. Man konnte nicht sagen: „Ach, das da drüben ist Carl. Der spielt so eine Art Tischtennis mit sich selbst.“ Nein, man musste das Spiel spielen oder man hatte schon verloren.

Zum Buch über Carl Icahn

Inzwischen ist mit Icahn Enterprises ein Teil von Icahns Geschäft börsennotiert. Haben Sie investiert?

Nein. Ich habe ein Problem damit, dass Carl zum Stock-Picker geworden ist. Dabei war es nicht der Schlüssel zu seinem Erfolg, dass er Aktien ausgewählt hat. Er hat Opfer ausgewählt. Sagen wir, Sie haben ein Unternehmen mit 52 Milliarden Dollar Umsatz, das Sie sehr schlecht führen, und der Buchwert Ihres Unternehmens ist viel höher als sein Börsenwert. Damit sind Sie zum Opfer geworden. Jetzt wird Carl nicht lockerlassen, bis die ­Lücke zwischen Buch- und Marktwert geschlossen ist.

Dieses Vorgehen war Icahns gutes Recht – und zumindest aus Sicht eines Investors auch sehr verständlich. Warum haben die Chefs der Unternehmen trotzdem ablehnend auf Icahn reagiert?

Die kurze Antwort besteht aus drei Buchstaben: Ego.

Das ist alles?

Stellen Sie sich vor, Sie sind glücklich mit der Leitung eines Unternehmens mit Tausenden Mitarbeitern. Sie haben Ihre Privatjets und alles, was Sie brauchen. Die Leute kümmern sich um alles, was Sie wollen. Plötzlich ruft dieser Typ an und sagt: „Ich werde alles in Ihrem Leben ändern.“ Wie reagieren Sie? Werden Sie sagen: „Mensch, Sie haben da ein paar gute Ideen. Ich bin ziemlich dumm. Himmel, wie bin ich nur ohne Sie so weit gekommen. Auf Ihren Anruf habe ich gewartet.“?

Wahrscheinlich nicht.

Selbst wenn der Aktienkurs sinkt, schieben Sie das auf jemand anderen: Branchentrends, die Fed – egal. Sie haben ein großartiges Leben und eine tolle Position. Dann ruft dieser Typ aus New York an, der so komisch spricht, kein Mitglied im Club ist und Ihnen erzählt, dass Sie scheiße sind …

... und trägt dabei nicht mal schicke Anzüge.

Damals trug er tatsächlich immer ein weißes Hemd, das aussah, als hätte er es im Schlussverkauf für einen Dollar bekommen. Er hat sich nie darum gekümmert. Und ich glaube, er hat sein Auftreten tatsächlich benutzt, um sein Gegenüber zu entwaffnen. Wenn man mit ihm gesprochen hat, war man nicht beeindruckt.

Wobei Icahn knallhart verhandeln konnte. Haben Sie eine Lieblingsanekdote über ihn?

Ich war mit ihm bei einem Treffen von TWA-Piloten in einem Hotel in Manhattan. Viele waren ehemalige Kampfflieger aus dem Zweiten Weltkrieg, also ziemlich harte Kerle. Sie waren sauer auf Icahn, weil er mit Kürzungen bei der Fluggesellschaft drohte. Icahn stellte sich vor die Piloten und holte ein rohes Ei aus seinem Anzug. Er sagte: „Ich halte hier ein rohes Ei in meiner Hand. Ich gehe sehr behutsam damit um, weil ich es nicht kaputt machen will. Dieses Ei seid ihr. Bevor wir diese Verhandlung beginnen, macht euch also klar, was passiert, wenn ich meine Hand, mit diesem Ei darin, zur Faust balle.“ Das war typisch Carl.

Inzwischen hat Icahn dafür gesorgt, dass sich Ebay von Paypal trennt. Er hat sich mit Bill Ackman live im Fernsehen heftig über das Unternehmen Herbalife gestritten. Dazu kommen ein paar ­Milliardenverluste durch Short-Spekulationen gegen den Markt. Vergangenes Jahr wurde dann ausgerechnet Icahn Enterprises von einem aktivistischen Leer­verkäufer unter Beschuss genommen. Davon hat sich der Kurs nicht ­erholt.

Was Carl da vor einem Jahr passiert ist, ist für ihn – abgesehen von einer schrecklichen Verletzung oder Tod – das Schlimmste auf der Welt. Jemand hat ihn in seiner Welt geschlagen und bewiesen, dass er schlauer ist. Dieser Typ hat Carl mit dessen eigener Technik geschlagen.

Icahn Enterprises (WKN: A0M1Z9)

Wir reden von Nathan Anderson und Hindenburg Research …

Genau. Nathan hat exakt das gemacht, was Carl macht: Er schaut sich die Bücher an. Er hat die Vermögenswerte von Icahn Enterprises in der Bilanz unter die Lupe genommen und gesagt: „Die sind alle überbewertet.“

Was vielleicht gar nicht mal sonderlich überrascht, wenn man es mit einem Meister des Financial Engineerings zu tun hat. Icahn hat jahrelang aus Unternehmen das Maximum an Wert herausgequetscht, galt als Heuschrecke und Unternehmensplünderer ...

Gerade deswegen hat mich das überrascht. Carl wusste immer, wo die Grenze zwischen legal und illegal verläuft. Er hat diese Linie nie überschritten – nicht aus moralischen Gründen, sondern weil andere davon hätten erfahren können und damit ein Druckmittel gegen ihn in der Hand gehabt hätten.

Da muss Sie die Hindenburg-­Geschichte umgehauen haben …

Ich war tatsächlich schockiert.

Stimmen die Vorwürfe?

Ich kann nicht sagen, ob da etwas dran ist oder nicht. Aber der Kurs ist eingebrochen, und es gibt eine Untersuchung.

Wozu überhaupt Icahn Enterprises? Wollte Icahn auf Warren Buffett machen und ein eigenes Berkshire Hathaway erschaffen?

Ja, ich glaube er wollte seinen ohnehin hervorragenden Ruf ausbauen. Nach dem Motto: „Seht her, ich kann alles! Jetzt werde ich Warren Buffett in den Schatten stellen!“ Es würde mich auch nicht überraschen, wenn die Ambitionen seines Sohns eine Rolle gespielt haben.

Meinen Sie, Icahn wird ein Comeback gelingen?

Nein. Ich glaube, er hat nicht mehr den gleichen Antrieb wie früher.

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Den Einbruch von Icahn Enterprises hat ein Typ ausgelöst, der nicht mal halb so alt wie Icahn ist …

Yeah! (lacht) Wissen Sie, ich habe Bill Gates einige Male getroffen und mit ihm gesprochen. Beim ersten Mal habe ich ihn gefragt, was seine größte Angst ist. Und er sagte: „Dass irgendein Kind, jünger als ich, irgendwo in seiner Garage etwas macht, womit es Microsoft übertrifft.“ Jeder muss so denken, vor allem, wenn man ein großes Unternehmen leitet. Aber Carl dachte, er wäre darüber erhaben.

Juckt es Sie nicht in den Fingern, den zweiten Akt in Icahns Leben aufzuschreiben?

Es ist eine aufregende Geschichte. Mein Literaturagent ist im Ruhestand, aber wenn ich jemanden finde, der ein „Icahn, Teil 2“ will, würde ich das Buch schreiben.

In der deutschen Ausgabe Ihres Buches verraten Sie eingangs, dass Icahn erst überhaupt nicht begeistert war, als Sie ein Buch über Ihn schreiben wollten. Demnach drohte er, rief Sie nachts an und versuchte, Sie auszutricksen. Am Ende schrieben Sie das Buch trotzdem, ohne Icahn ein explizites Mitspracherecht einzuräumen. Wie hat Icahn eigentlich später auf das Buch reagiert?

Ich glaube, er fand, dass es ein faires Buch geworden ist. Als es veröffentlicht wurde, waren meine Frau und ich tatsächlich als Ehrengäste bei ihm eingeladen. Er war absolut stolz auf das Buch.

Er hat Ihnen sogar eine Weihnachtskarte geschickt, richtig?

Ja, er hat dieses Weihnachten auch wieder eine geschickt. Es gibt eine Seite an Carl, die man nicht erwarten würde. Er ist ein witziger Typ, der es mag, einen zum Lachen zu bringen. Eigentlich ist es toll, in seiner Nähe zu sein, weil er so klug ist. Vergessen Sie nicht, dass er einen Abschluss in Philosophie hat. Er ist ein Typ, der über Plato, Sokrates sprechen kann – und Tennis.

Spielt er auch selber?

Ja, er ist sehr ehrgeizig. Ich habe nie gegen ihn verloren. Er hatte seinen eigenen Schiedsrichter für die Tennisplätze bei seinem Haus. Der Typ hat für ihn geschummelt. Wenn Carl zum Beispiel einen Ball geschlagen hat, der zehn Fuß weit im Aus war, sagte der Typ: „Der ist drin.“ Wenn ich dann geschrien habe „War er nicht! Kommt schon!“, haben sie nachgegeben und gesagt: „Okay, okay, du hast recht.“ Er ist mental sehr stark, aber ich glaube nicht, dass er je jemanden geliebt hat. Vor ein paar Jahren kam Bloomberg zu mir, um mich schon mal für einen Nachruf auf Icahn zu interviewen …

Die Geschichte erzählen Sie im Vorwort für die deutsche Ausgabe. Demnach haben Sie damals gesagt, dass Icahn nichts Bleibendes hinterlässt. Andererseits haben Sie gerade gesagt, dass er der erste aktivistische Investor an der Wall Street war. Das ist doch vielleicht auch etwas wert?

Natürlich, er hat ein oder zwei Generationen an Nachahmern geschaffen. Aber er hinterlässt kein Erbe, das Generationen überleben wird. Er hat kein iPhone erschaffen, er hat nicht Windows erfunden. Er hat nie etwas gemacht, das auch für andere Menschen große Bedeutung hat. Überall auf der Welt wissen Menschen, wer Steve Jobs war. Aber Carl Icahn? Nein.

Warren Buffett soll mal gesagt haben: „Der Sinn des Lebens besteht darin, von so vielen Menschen wie möglich geliebt zu werden, von denen man möchte, dass sie einen lieben.“ Icahn ist das wahrscheinlich nicht so wichtig, oder?

Ich glaube auch nicht, dass es für Warren so eine Rolle spielt. Man hat im ganzen Leben nicht erlebt, dass Warren auf seine Kinder fixiert gewesen wäre. Warren war auch ein Wunderkind. Ich glaube, dass ein paar von diesen Leuten, die so besessen von etwas sind und eine fast übernatürliche Begabung haben, einfach aufgrund ihrer Persönlichkeit nicht in der Lage sind – schauen Sie, wir dachten alle, dass Bill Gates dieser großartige Familienmensch wäre, er hat jahrelang diese Show abgezogen …

Und dann kam die Scheidung – und womöglich spielten Gates‘ Triebe dabei eine Rolle. Da kommen wir jetzt aber zu einer Sache, die man sehr vielen Männern und Frauen vorwerfen könnte. Wir haben alle mehr oder weniger unsere Schwächen, und es ist etwas schwierig, das Privatleben anderer Leute von außen zu beurteilen …

Das stimmt.

Icahn selbst hatte kurz nach Erscheinen des Buchs eine Scheidung von seiner Frau. Das sollte sich jahrelang hinziehen und schließlich hat er seine Assistentin Gail geheiratet ...

Ich kannte Gail. Ich mochte sie sehr und habe sie die ganze Zeit zusammen mit Icahn erlebt und nie vermutet, dass sie zwölf Jahre lang seine Freundin war.

Übrigens, meine Lieblingsanekdote in „King Icahn“: Sie schreiben, dass Carls damalige Frau ihm drei Jahre hintereinander dasselbe Geschenk zum Valentinstag gemacht hat, ohne dass es ihm aufgefallen wäre. Er hat jedes Mal überrascht getan ...

Ich würde noch ergänzen: Seine Frau hätte ihm wahrscheinlich sogar drei Jahre hintereinander einen Rolls Royce schenken können, und er hätte sich nicht daran erinnert, dass sie ihm schon im Jahr zuvor einen geschenkt hat.

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