Bernd Thomsen berät Regierungs- und Vorstandschefs, lehrt Transformation und schreibt Bestseller. Der Topstratege und CEO der Thomsen Group über die Gründe des wachsenden Populismus und wie wir die Demokratie retten können.
€uro am Sonntag: Donald Trump wird der nächsten Präsident der USA. Von seinen Gegnern wird er als Gefahr für die Demokratie bezeichnet. Teilen Sie die Sorge, dass der Republikaner die Demokratie der Vereinigten Staaten aushöhlen oder gar zurückdrängen könnte?
Bernd Thomson: Ja!
Sie haben mit Ihrer Antwort keine Sekunde gezögert. Warum?
In den letzten fünf Jahren haben mein Team und ich weltweit 39 Länder untersucht und einen Werkzeugkasten identifiziert und die Tools enthüllt, mit denen Populisten und Propagandisten die Demokratie abschaffen. Donald Trump bedient sich exakt dieser Werkzeuge. Er lehnt die liberale Demokratie ab. Sie stellt für Machthaber auf der Welt eine existenzielle Bedrohung dar und für Trump eine Barrikade auf dem Weg zur Macht. Er will sie nach seinem Sieg beseitigen.
Die Werkzeuge, von denen Sie gerade sprachen: Welche sind das?
Lügen sind das wichtigste Werkzeug! Trump lügt noch immer, ihm sei die letzte Wahl, bei der faktisch Joe Biden gewonnen hatte, gestohlen worden. Wahlergebnisse nicht anzuerkennen, ist auch eines der Tools. Trump lügt, Migranten würden die Haustiere der Bürger essen und von Kamala Harris alle Hilfsgelder bekommen, sodass keine mehr für die Hurrikanopfer übrig seien. Eine zentrale Lüge von Populisten und Propagandisten ist es, demokratisch zu sein, zum Beispiel den Wunsch einwandfreier Wahlen vorzugaukeln, mithin natürlich nicht die Demokratie abschaffen zu wollen. Sie entern, was ihren Gegnern wichtig ist. Sie behaupten also, es ginge ihnen um Wahrheit, obwohl sie lügen, um Demokratie, obwohl sie sie abschaffen wollen, um Transparenz, obwohl sie ihre wahren Beweggründe verschleiern. Sie drehen alles um: Wenn sie kritisiert werden, streiten sie alles ab. Oder sie streiten alles ab und erklären zugleich, dass es gar nicht schlimm sei, was man ihnen vorwerfe. Oder sie deuten um, was sie gesagt haben. Oft gehen sie zum Gegenangriff über, stellen die Glaubwürdigkeit der Kritik infrage. Bestes Beispiel ist die Flut von Trumps Strafverfahren.
Trump und seine Unterstützer nutzen Verschwörungstheorien und extremistische Sichtweisen und wiegeln die Bevölkerung mit Fremdenfeindlichkeit gegeneinander auf. Sie sind Netzwerker, sozusagen eine autoritäre Internationale. Trump bewundert Putin und umschmeichelt Kim Jong-un, den anderen Diktator aus Nordkorea. Auch wenn die einzelnen Netzwerker oft ganz andere Interessen haben, auf jeden Fall haben sie ein gemeinsames Interesse daran, die Demokratie zu zersetzen. Ebenfalls ein typisches Werkzeug sind schließlich verfassungsändernde Maßnahmen. Damit wollen Populisten und Propagandisten Kontrolle erreichen.
Wie wehrhaft ist die amerikanische Demokratie, um sich gegen Angriffe von innen zu verteidigen?
Beide Parteien agieren leider, und das schon lange vor Trump, viel zu taktisch. Der ständige Neuzuschnitt von Wahlbezirken, etwa jeweils genau so, wie es der gerade regierenden Partei bei der nächsten Wahl hilft, hat das aktuelle Misstrauen in die Politik erheblich befördert. Oder dass Republikaner Wahlbezirke so weit entfernt platzieren, dass sie für weniger mobile Menschen, die überwiegend die Demokraten wählen, kaum erreichbar sind.
Die US-Institutionen sind stark. Aber von langer Hand geplant, etwa mit der taktischen Besetzung des Obersten Gerichtshofs oder der von Trump aktuell minutiös vorbereiteten Machtübernahme durch Tausende künftige, vor allem gefügige Menschen an Schaltstellen, lässt sich auch eine starke Demokratie ins Wanken bringen. Trauriges Beispiel für blinde Gefolgschaft ist die aktuelle Mehrheit der Republikanischen Partei. Während Donald Trump 2016 seinen Sieg selbst nicht fassen konnte, ist er diesmal vorbereitet.
Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Demokratie in Europa? Insbesondere nach der Europawahl im Sommer dieses Jahres.
Die Europawahl brachte eine Bewegung nach rechts, insbesondere durch Frankreich unter Marie Le Pen und die AfD aus Deutschland. Viel zu oft missachtet werden aber folgende Länder: Spanien und der Sieg der Volksparteien der Mitte, Dänemark – Grüne auf Platz eins, Polen – Triumph des Demokraten Tusk, Schweden und Finnland – Sieg Linker und Grüner gegen Rechtsextreme, Slowakei – eine Schlappe für die Fico-Populisten. Ich bin nicht pessimistisch.
Hierzulande war bei der Europawahl ein Trend hin zu kleineren Parteien zu beobachten, insbesondere bei den jüngeren Wählern. Woher rührt das, und drohen uns – überspitzt formuliert – bald wieder Zustände wie zu Zeiten der Weimarer Republik?
Es ist die Individualisierung der Gesellschaft. Unsere Eltern haben oft ihr Leben lang dieselbe Partei gewählt. Das ändert sich. So wie sich Gesellschaften immer mehr fragmentieren, fragmentiert sich auch das Parteiensystem. Diese Veränderung lässt sich jetzt auch in der Zusammensetzung der Parlamente ablesen. Die vorgenannte Wechselbereitschaft junger Menschen spüren gerade die FDP und die Grünen. Sperrklauseln sind gegen Zersplitterung sinnvoll und vermeiden jene Weimarer Verhältnisse. Die des Bundestages wurde 1953 eingeführt und hat sich bewährt, auch bei der nächsten Europawahl im Jahr 2029 soll es eine geben.
Die Gewinner des diesjährigen Wirtschaftsnobelpreises, Daron Acemoğlu, Simon Johnson und James Robinson, kommen in ihrer Forschung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Demokratie entscheidend für Wohlstand und Fortschritt ist. Dennoch scheint es so, als hätte in den letzten Jahren die Zahl der Autokraten weltweit zugenommen. Wie geht das zusammen? Und wie erklären Sie es sich, dass China, das beim besten Willen nicht als demokratischer Staat gezählt werden kann, in den letzten Jahrzehnten ein beeindruckendes Wohlstandswachstum erlebt?
Es hat mich sehr stolz gemacht, dass die Nobelpreisträger meine Sicht teilen. Lange waren die USA Vorbild, Synonym für Demokratie. „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ ist dort jedoch oft Vergangenheit. Das gibt es eher in Europa. Prosperität haben sich autokratische Herrscher vom Westen abgeguckt, allen voran Chinas Präsident Xi. Gerade dessen völlig überhitzter Immobilienmarkt, der mal als Symbol für chinesische Prosperität herhalten musste, zeigt, dass Dirigismus langfristig nicht funktioniert. Neben den verblassten Vorbildfunktionen der USA gibt es einen noch wichtigeren Grund, warum Autokratien zunehmen. Das menschliche Gehirn kann, das ist wissenschaftlich erwiesen, nicht mit Unsicherheit umgehen. Klimawandel, Kriege, künstliche Intelligenz, Inflation, Migration, egal ob die Unsicherheit – bedingt durch Wandel – tatsächlich existiert oder, wie bei Lügen und Verschwörungstheorien, nur so empfunden wird: Das Gehirn schlägt Alarm. Die Menschen fliehen in die Arme derer, die einfache Lösungen versprechen.
Ihr jüngstes Buch heißt „Retten wir die Demokratie!“. Kurz zusammengefasst, welche Möglichkeiten haben Sie gefunden?
Die Strategie zur Rettung der Demokratie lässt sich in einer Lösungsformel zusammenfassen. Sie lautet: POP. Bei Partizipation geht es um die Beteiligung an Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen. Sie ermöglicht den Menschen, ihre Meinungen, Perspektiven und Interessen besser und einfacher in die politische Entscheidungsfindung einzubringen. Ovation beschreibt die Wertschätzung und Anerkennung für die eigene Person und die eigenen Leistungen, aber auch für die Gruppe, der man sich zugehörig fühlt. Bei Prosperität geht es, auch wenn immaterieller Wohlstand wie Lebensqualität immer höhere Bedeutung erfährt, um eine mittelbare (wie durch Bildung) und unmittelbare Steigerung des materiellen Wohlstands.
Und welche Möglichkeiten dazu haben Bürgerinnen und Bürger selbst?
Erstens: Nicht zu glauben, POP könne man einfach an Politiker delegieren. Zweitens, vielleicht das Allerwichtigste: Demokratie nicht nur als Staatsform, sondern als Lebensform, ja als Lifestyle zu begreifen. Die Demokratie ist auch die Art und Weise, wie wir leben, mit unseren Vorlieben und Gewohnheiten. Demokratie macht möglich, so zu sein, wie jeder will. Drittens: selbst anzufangen mitzumachen, mitzudiskutieren, für die eigene Auffassung einzustehen. Ohne Menschen, die engagiert für unsere Demokratie einstehen, wird es schwer. Oder auch: anderen Wertschätzung entgegenbringen. Viertens: Die Familie als kleinste Form der Demokratie zu begreifen. Die Generation meiner Eltern lebte zwar überwiegend in einer Demokratie, wendete aber oft autokratische Erziehungsmethoden an, die auf den Prinzipien Bestrafen des Negativen beziehungsweise Belohnen des Positiven beruhten. Also Kinder dazu ermächtigen, die logischen Konsequenzen ihres Handelns zu verstehen und nicht nur etwas zu tun oder zu lassen, weil ein anderer es sagt. Fünftens: Sich nicht den Kopf zu zerbrechen, ob wir schnell genug sein werden. Entscheidend ist, dass wir uns auf den Weg machen! Ja, die Rettung der Demokratie ist kein Kinderspiel. Sind wir aber erst einmal auf dem richtigen Weg, werden wir auch das richtige Tempo finden. Menschen, die Optimismus verbreiten, wird das später zwar gern um die Ohren gehauen. Die Nörgler, Pessimisten und Miesmacher scheinen es über alles zu lieben, wenn etwas doch nicht wie gewünscht klappt. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, unsere Überzeugungen zu formulieren!