Während sechs der sieben Magnificent Seven seit Jahresbeginn unter Wasser stehen, notieren die Börsen in Europa nahe ihrer Allzeithochs. Im Interview mit €uro am Sonntag blickt Thomas Fischer, Managing Director und Mitglied des Vorstands „Private Clients & Structured Solutions Europe“ bei Vontobel, unter anderem auf die aktuelle Volatilität an den Märkten, erklärt, wieso der Rat einer Börsenlegende heute nicht mehr zählt, und spricht über die Rolle alternative Anlageklassen in einem gut diversifizierten Portfolio.

€uro am Sonntag: Die Aktienmärkte sind zuletzt geprägt von hoher Volatilität. Wie blicken Sie auf das aktuelle Geschehen an den Börsen?

Thomas Fischer: Als Vermögensverwalter haben wir grundsätzlich eine etwas langfristigere Sichtweise. Dass wir momentan durch eine Phase mit höherer Volatilität gehen, haben wir so kommen sehen. Das ist nicht unerwartet. Die große Frage ist, wie geht es weiter? Wir glauben, dass die Zölle temporär und letztendlich nur ein Mittel der amerikanischen Regierung sind, die Verhandlungspositionen mit Mexiko, Kanada, Europa und anderen Ländern zu stärken. Entscheidend für die weitere Entwicklung – gerade die wirtschaftliche – wird sein, wie lange diese Zölle Bestand haben. Je länger sie andauern, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der Wirtschaft Schaden anrichten, der zu einer Rezession führen könnte. Wir glauben aber, dass die Rezessionsgefahr nicht sonderlich groß ist.

Donald Trump hat in der Vergangenheit seinen eigenen politischen Erfolg auch sehr über die Performance der Börse definiert. Hat Sie vor dem Hintergrund überrascht, dass er kürzlich sagte, ihm seien die Aktienmärkte nicht wichtig?

Ich gehe davon aus, dass es Taktik ist. Er weiß, dass er das Risiko eingeht, dass die Kapitalmärkte aufgrund seiner Zollpolitik leiden. Wie weit er das treiben möchte und wann es wieder zu einer Entspannung kommt, werden wir sehen. Es ist allerdings sehr schwer kalkulierbar, wir sehen ja, dass zu gewissen Themen Stimmungs- und Meinungswechsel von Tag zu Tag möglich sind. Vor diesem Hintergrund sollten Anleger eine gut diversifizierte Strategie haben, die sie langfristig beibehalten. Mit taktischen Anpassungen lassen sich dann auch solche Phasen überstehen.

Also frei nach André Kostolany: Schlaftabletten nehmen und sich von der Volatilität nicht verrückt machen lassen.

Kostolany hat damals gesagt: Ein paar Aktien kaufen, schlafen legen und nicht darüber nachdenken. Diese Zeiten sind leider vorbei. Eine gute Anlagestrategie bedeutet, dort Anpassungen vorzunehmen, wo es notwendig und sinnvoll ist. Zum Beispiel ist die Betrachtung diverser Industrien in den letzten drei Jahren eine grundlegend andere geworden. Wir werden noch viele dieser Veränderungen sehen, aufgrund derer die Anlagestrategie angepasst werden muss.

Das heißt, Ihre Kunden haben in der Regel einen langfristigen Investitionsansatz, oder gibt es auch solche, die aktuell die Aktienquote senken möchten?

Es gibt beides. Unser Anspruch ist es, den Kunden auf die strategische Seite zu bringen, auf der die Performance über die Asset-Allocation kommt. Die Alternative wäre Trading, bei dem versucht wird, taktisch vorzugehen. Das ist allerdings momentan unglaublich schwierig, da die Ausschläge zuletzt hauptsächlich politisch getrieben und damit kaum greifbar sind.

Sie sagten, die Volatilität kam nicht unerwartet. Wie haben Sie sich, beziehungsweise die Portfolios Ihrer Kunden darauf vorbereitet? Wurden sie abgesichert?

Wir unterscheiden verschiedene Modelle, die wir den Kunden anbieten. Erstens die Anlageberatung zwischen dem Kunden und dem Anlageberater, bei der auf Wunsch auch Absicherungen eingegangen werden. Zweitens das sogenannte Investment-Consulting, wo wir Spezialisten für unterschiedlichen Anlageklassen haben. Das ist etwas Trading-intensiver und sowohl der Kunde als auch wir bringen Ideen ein, die darauf abzielen, Schwankungen stärker zu nutzen. Zu guter Letzt die Vermögensverwaltung, die komplett an uns delegiert wird und bei der wir einen längerfristigen Blick haben. Eine aktive Absicherung, beispielsweise über Optionen, haben wir in der Vermögenserwartung nicht. Stattdessen wirken aufgrund der Portfolio-Konstruktion die verschiedenen Bausteine Schwankungen entgegen beziehungsweise gleichen sie aus.

Im ETF-Sektor gab zuletzt eine massive Umschichtung von US- in europäische Vehikel. Beobachten Sie diesen Stimmungswandel auch bei Ihrer Kundschaft?

Amerika hat mit dem KI-Hype und der sensationellen Performance der Magnificent Seven einen unglaublichen Boom erfahren. Das hat teilweise zu sehr hohen Bewertungen geführt. Das Aufkommen von DeepSeek war in gewisser Weise ein „Gamechanger“. Plötzlich stellte sich die Frage, ob die hohen Bewertungen auch gerechtfertigt waren. Die aktuelle Korrektur ist gesund und gut. Gleichzeitig hat der Markt in Europa Aufholpotenzial gesehen. Allerdings gehe ich davon aus, dass die starke Outperformance gegenüber den USA bald ein Ende haben dürfte, da in Europa mittlerweile auch Bewertungen erreicht sind, die nicht ganz günstig sind.

Apropos DeepSeek: Nach ein paar schweren Jahren haben zuletzt auch chinesische Aktien wieder stark zugelegt. Wie groß ist die Offenheit gegenüber solchen Titeln aktuell?

Die Offenheit ist groß. China hat seine Einstellung gegenüber den Unternehmen etwas geändert. Dazu kommen die Probleme in den USA, die dazu führen, dass Anleger sich nach Alternativen umsehen, was die Schwellenländer und im Zuge dessen auch chinesische Aktien antreibt. Fakt ist aber auch: Diese Titel sind eine Beimischung und machen eigentlich nie einen großen Bestandteil des Portfolios aus.

Einen China-Boom wie in den Jahren vor Corona erwarten Sie also nicht?

China hat heute ganz andere Probleme, als es zu Zeiten des Booms der Fall war. Das Land hat eine relativ hohe Staatsverschuldung und auch die Themen im Immobiliensektor darf man nicht außer Acht lassen. Dazu ist es ein komplett anderes politisches System, das Unternehmen auch ganz anders steuert. Die Regierung möchte keine Regie der Tech-Milliardäre wie es sie in den USA gibt, sondern bei großen Unternehmen regulierend eingreifen. Daher ist China von den Rahmenbedingungen ganz anderes als die westlichen Märkte. Das heißt, wir erleben momentan eine Aufschwung-Phase, die aber nicht an den Boom aus den Jahren vor Corona heranreichen dürfte.

Zu einem gut diversifizierten Portfolio gehören nicht nur Aktien, sondern auch andere Anlageklassen. Wie blicken Sie momentan auf Anleihen?

Anleihen haben durch den Zinsanstieg 2022 eine Renaissance erlebt. Jetzt sehen wir Zinssenkungen, die in Europa mittlerweile recht deutlich sind. Sowohl für Europa wie auch die USA dürften weitere Senkungen folgen. Mit Blick auf die Segmente Staatsanleihen, Investment-Grade-Anleihen, sprich die Unternehmensanleihen, und Hochzinsanleihen, gefallen uns momentan die Staatsanleihen – sowohl in Europa als auch den USA – mit am besten. Der Credit-Spread, sprich der Risikoaufschlag, für die etwas risikoreicheren Segmente ist nicht allzu hoch, das bedeutet, das zusätzliche Risiko wird nicht über den Zins kompensiert. Darüber hinaus sehen wir eine Normalisierung der Zinskurve, nachdem zuletzt die kurzfristigen Zinsen höher waren als die langfristigen. Und es gibt eine Angleichung der Zinskurven in Amerika und Europa, was auch für Europäer die europäische Anleihe interessanter macht, weil das Währungsrisiko entfällt.

Erwarten Sie bei Gold nach dem Anstieg der letzten Monate eine Verschnaufpause, oder überwiegt das Argument des sicheren Hafens in den politisch unsteten Zeiten?

Gold ist eine klassische Krisenwährung und spiegelt immer die Unsicherheit wider. Gleichzeitig haben Noten- und Zentralbank rund um den Globus ihre Goldbestände ausgebaut. Dazu kommen die Nationen, in denen Goldschmuck ein wichtiges Statussymbol ist. Wir erwarten nicht, dass dieser Trend kurzfristig abreißt, gleichzeitig scheinen weitere erhebliche Wertsteigerungen ebenfalls unwahrscheinlich.

Wer seinem Ruf als digitales Gold bislang nicht gerecht wird, ist der Bitcoin. Wie stehen Sie zum Thema Kryptowährungen?

Die Fantasie, wonach die USA für eine staatliche Kryptoreserve als Käufer auftreten könnten, ist mit der Entscheidung, vorerst nur auf die konfiszierten Coins zurückzugreifen, vom Tisch. Als Haus haben wir keine Meinung zu den Kryptowährungen, auch wenn wir Kunden ermöglichen, dort zu investieren. In der Vermögensverwaltung ist Krypto kein Bestandteil in den Portfolios, in der Anlageberatung hängt es vom Kunden und dessen Wünschen ab.

Die Anlageklasse Private-Equity ist seit der Novelle der ELTIF-Regulierung nun auch einer breiteren Anlegerschaft zugänglich. Wie groß ist die Nachfrage auf Kundenseite nach solchen Produkten?

Vollkommen richtig, bislang war diese Anlageklasse für viele Anleger schlicht nicht investierbar. Das hat sich geändert, weshalb auch wir ab dem zweiten Quartal dieses Jahres unseren Kunden ein ELTIF-Vehikel anbieten werden. Dabei wird es sich um eine Evergreen-Struktur, also ein voll investiertes Portfolio, in das man direkt einsteigen kann, handeln. Klar ist aber auch, Private-Equity sollte immer nur eine Beimischung in Höhe von fünf bis zehn Prozent im Portfolio sein. Auch wenn versucht wird, sie liquide zu gestalten, bleibt es eine illiquide Anlageklasse und es wird immer wieder Phasen geben, in denen diese Illiquidität zum Vorschein kommt. Wir beobachten eine höhere Nachfrage nach ELTIFs, allerdings ist die Frage: Rührt diese daher, dass die Kunden lange genug darauf angesprochen wurden, oder daher, dass sie sich proaktiv damit beschäftigt haben?

Sie wurden jüngst als bester Manager im Bereich Asset-Allocation ausgezeichnet. Wie gehen Sie dort vor?

Wir verfolgen eine Multi-Asset-Strategie. Das heißt, wir bauen ein global breit diversifiziertes Portfolio auf, in dem bis auf Kryptowährungen und die illiquiden Privatmarktanlagen sämtliche Assets inkludiert sind. Die wichtigsten Parameter sind neben dem Zeithorizont die Renditeerwartungen und die Heimatwährung, denn ein deutscher Investor, der in Euro denkt, braucht ein anderes Portfolio als ein Schweizer Investor oder ein Amerikaner, die in Schweizer Franken beziehungsweise Dollar denken.

Wir betrachten dann die gesamte Welt, arbeiten mit neutralen Quoten und besetzen die jeweiligen Anlageklassen über ein Scoring-System, in das sehr viele Faktoren einfließen.

Lassen Sie uns noch auf den Wealth-Management-Sektor in Deutschland blicken. Wie beurteilen Sie die Konsolidierungsdynamik in der Branche? Nehmen Sie als Haus daran teil?

Die Konsolidierung ist hierzulande nach wie vor in vollem Gange und wird auch durch große Übernahmen wie die von Hauck Aufhäuser Lampe durch ABN AMRO oder die der deutschen HSBC-Privatkundensparte durch die BNP Paribas unterstrichen. Ich rechne damit, dass es noch weitere Transaktionen in Deutschland geben wird. Dazu kommen die freien Vermögensverwalter, die aufgrund von Nachfolgeregelungen oder der zunehmenden Regulatorik verkaufen wollen. Unser Anspruch ist es, primär organisch zu wachsen.

In der Fintech-Szene entstehen immer wieder sogenannte Wealth-Tech-Start-ups. Wie beeinflusst Technologie Ihr Geschäft?

Wir haben das Thema Technologie immer sehr ernst genommen. Ohne Frage hat Corona dazu beigetragen, dass wir bei der Digitalisierung noch mal mehr Fahrt aufgenommen haben. Ich begrüße, dass wir Fintechs haben, die sehr innovativ und sehr kreativ Lösungen entwickeln und vorantreiben. Ohne Technologie und Digitalisierung wird meiner Meinung nach kein Haus in der Zukunft eine echte Überlebenschance haben. Digitale Angebote sind etwas, das vor allem die jüngere Generation schlicht verlangt. Für uns stellt sich dann die Frage, wie wir den Menschen mit Technologie und Digitalisierung unterstützen und so das Beste aus beiden Welten kombinieren können. Digitalisierung ist in der Breite ein Segen – gerade auch für Kleinanleger, die somit Möglichkeiten haben, die sie sonst nicht hätten.

Ab welcher Größenordnung kann man das Wealth Management bei Vontobel in Anspruch nehmen?

Wir haben im Gegensatz zu anderen Häusern keine harte Einstiegsgröße. Tendenziell macht die Zusammenarbeit ökonomisch für die Kunden ab einem siebenstelligen Betrag Sinn. Das bedeutet aber nicht, dass wir in Kombination nicht auch verbundene Kunden, wie Kinder, den Ehepartner, die Stiftung oder das Enkelkind aufnehmen, solange wir sinnvolle und vernünftige Lösungen haben. Je nachdem, wie groß das Vermögen ist, haben wir Abstufungen im Angebot. Je größer das Volumen ist, desto mehr Möglichkeiten der Individualisierung der Vermögensanlage gibt es. Wichtig ist zu beachten: Auch wenn wir klein starten, hat sich schon oft etwas Großes daraus entwickelt.