Nach 25 Jahren bei Banken wie Goldman Sachs und Credit Suisse haben Tonia Zimmermann und Luba Schönig die Investmentplattform UMushroom gestartet. Im Gespräch mit €uro am Sonntag berichten die beiden Gründerinnen, welche Rolle Künstliche Intelligenz (KI) bei der Geldanlage spielen wird, wieso es wichtig ist, über Geld zu sprechen und welche Ziele sie mit ihrem Unternehmen verfolgen
Sie waren beide 25 Jahre lang bei großen Banken tätig, unter anderem in der Anlageberatung, bevor Sie sich 2019 mit Ihrer Investmentplattform UMushroom selbstständig gemacht haben. Wie kam es dazu?
Tonia Zimmermann (TZ): Bei den Banken bekommen nur die größten Kunden echte Anlageberatung. Das heißt, Sie brauchen mindestens 5.000.000 bei der Bank, um maßgeschneiderte Beratung zu erhalten, sonst werden Sie mit Standardlösungen zugedeckt. Nur den grössten Kunden beziehungsweise den 1,5 Prozent der Menschen mit den höchsten Einkommen ist eine wirklich gute Anlageberatung vorbehalten. Da haben wir gedacht, das kann es nicht sein. Wir brauchen eine technische Lösung, die es allen Menschen ermöglicht, sich um ihr Geld zu kümmern und dabei den größtmöglichen Freiraum zu haben. Das war der Anstoß für UMushroom.
Wie oft werden Sie nach Anlagetipps gefragt?
Luba Schönig (LS): Sehr oft. Wir dürfen zwar als registrierte Beraterinnen tatsächlich beraten, bieten aber auf der Plattform an sich keine Anlageberatung an. Denn so funktioniert das traditionelle Banking: Die Bank sagt dir als Kunde, was richtig ist. Genau das wollen wir ändern. Wir möchten jede*n dazu inspirieren, die Grundlagen des Geldanlegens zu lernen, um in der Lage zu sein, selbst zu entscheiden, wie man/frau sein/ihr Geld anlegt
Was empfehlen Sie, wenn Sie keine heißen Tipps geben wollen?
LS: Wir geben Hinweise, wie man beim Investieren vorgehen kann, und da steht ganz am Anfang die Frage nach den Zielen: Willst Du ein Haus kaufen, die Ausbildung deiner Kinder finanzieren, eine Reise machen oder fürs Alter vorsorgen? Wir motivieren die Leute, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
TZ: Grundsätzlich raten wir dazu, langfristig zu investieren. Wenn man jung ist und regelmäßig einen bestimmten Betrag in ETFs anlegt, kann man nicht viel falsch machen.
Worauf sollten Anleger*innen noch achten?
TZ: Die Gewinne, die man erzielen will, das ist die eine Seite. Die andere ist die Frage, wo möchtest Du dein Geld investieren, was möchtest du mit dem Geld erreichen? Denn ich kann meinem Geld eine Stimme geben. Aber nur wenn ich Geld habe, kann ich meiner „Geld-Stimme“ Ausdruck verleihen und in Unternehmen investieren, hinter denen ich stehe. Anderenfalls haben die 1.5 Prozent (die Reichsten) und die Finanzindustrie das Sagen. Unserer Meinung nach ist es extrem wichtig, dass wir uns über beide Fragen bewusst werden, sonst gibt es Enttäuschungen.
Können Sie bitte kurz erklären, wie die Plattform funktioniert?
LS: Unser umfassendes Anlageuniversum und unsereP roduktsuchmaschine sind das technologische Kernstück der Plattform. Dazu muss man wissen, dass es kaum Finanz-Tools gibt, die Anlageberatern helfen, Anlageinstrumente auf eine effiziente Art und Weise zu finden. Klingt komisch, denn von Zalando oder Amazon sind wir gewohnt, alle Angebote filtern zu können. In unseren Banktagen mussten wir uns bei einer Kundenanfrage durchs ganze Haus telefonieren, um hoffentlich eine gute Antwort zu bekommen. Also haben wir ein Suchtool für Anlageinstrumente gebaut, das einfach zu bedienen und sehr zuverlässig ist. Nur so hat man eine Chance, sich im Dschungel der Anlagemöglichkeiten zurechtzufinden. Das hat viel Handarbeit erfordert. Die Daten, die wir dafür einkaufen, verfeinern wir noch, damit die Filter auch wirklich so funktionieren. Dabei bemühen wir uns, alle wichtigen Daten und Produktinformationen übersichtlich und visuell aufbereitet darzustellen.
Welche Assetklassen und Produkte sind dort zu finden?
LS: Wir haben knapp 5000 Aktien aus 23 Ländern, Fonds und ETFs, die im jeweiligen Land zugelassen sind und Krypto. Sukzessive erweitern wir um Gold und Silber, Anleihen, Währungen und Zertifikate
Sie sind nicht direkt an einen Broker angeschlossen?
LS: Noch nicht, aber diese Konnektivität zu Brokern aufzubauen ist unser Ziel. Demnächst schliessen wir unseren ersten Broker-Partner hier in der Schweiz an – Swissquote. Wir wollen einen Rundum-Service schaffen, mit dem Anleger alles in einem Durchgang automatisch abwickeln können.
Anlageprodukte finden ist das eine, aber wie setze ich sie ein, wie kann ich eine Strategie entwickeln?
TZ: Unser zweiter Bereich ist Finanzielle Bildung. Wir haben immer wieder gemerkt, dass für Menschen, die noch nie im Leben eine Aktie oder einen Fonds gekauft haben, dieser Schritt sehr groß ist. Viele Menschen wissen wenig über Geldanlage und möchten stärker an die Hand genommen werden. Dafür bieten wir über Abo-Modelle verschiedene Online-Kurse an.
Wir unterstützen Anleger auch dabei, ihren eigenen Wert zu erkennen. UMushroom ist der Ort „to Learn, Speak and Go Beyond money“.
Sie bauen aber auch darauf, dass Menschen voneinander lernen und sich austauschen.
TZ: In unserer Community hat jeder eine Stimme, egal ob Privatanleger oder Investment-Profi. Es ist uns wichtig, dass man von der Community lernen kann. Die Banken haben immer weniger Ressourcen, um Research zu betreiben, da macht es unserer Meinung nach extrem viel Sinn, von der Crowd zu lernen.
Unser Ziel ist es, das "Amazon für Investments" zu werden
LS: Unser Ziel ist es, das „Amazon für Investments“ zu werden, und das weltweit. Wir wollen eine Community schaffen, die wirklich Wissen generieren kann. Traditionell kennen wir die Banking-Community: Das sind die Bankanalysten mit ihrem Research. Und dann gibt es noch professionelle Medien, die oft ganz andere Informationsquellen haben. Unser User*innen können auch ihre Meinung mitteilen, indem sie Anlageintrumente bewerten und kommentieren. Wir wollen diese drei Communities zusammenbringen, um einen Austausch zu ermöglichen und Perspektiven zu eröffnen. Letztendlich möchten wir das bestehende Finanzsystem transformieren.
Können Sie ein Beispiel nennen?
LS: Als wir anfingen, das Unternehmen aufzubauen, kochte gerade der Wirecard-Skandal hoch. Fast alle Bankanalysten empfohlen damals, Wirecard zu kaufen, während die Presse über Monate gewarnt hatte. Das zeigt, wie wichtig ein Austausch zwischen unterschiedlichen Gruppen sein kann.
Wie können sich User*innen austauschen über Investments, wie unterscheidet sich UMushroom von anderen Portalen oder sozialen Medien?
TZ: Unsere User können bewerten und kommentieren, aber wir geben ein definiertes Format vor. Bei uns kann man eine Investition mit Sternen bewerten und einen Text dazu schreiben, der auf 300 Zeichen beschränkt ist. Unserer Meinung nach ist diese Kombination für andere User am hilfreichsten. Innerhalb von 30 Sekunden soll der User entscheiden können, ob eine Aktie für ihn in Frage kommt und er sicher tiefergehend informieren möchte oder lieber weiter scrollen.
LS: Das Format verhindert endlose Diskussionen und Threads. Zum einen liest die keiner, da im Social Media Zeitalter die Aufmerksamkeitsspannen kurz sind. Zum anderen verhindern wir so, dass Aktien gepusht oder Falschinformationen gestreut werden. Das ist uns sehr wichtig, denn wir möchten unseren Usern einen Safe Space bieten, damit sie ihre Anlageinstinkte trainieren und so ein finanziell erfülltes Leben aufzubauen können.
Könnte künftig die KI die Geldanlage komplett übernehmen?
LS: KI ist sehr spannend. Wir haben aber festgestellt, dass die Menschen Vertrauen brauchen, speziell bei der Vermögensverwaltung, und sie vertrauen anderen Menschen mehr als Maschinen. Natürlich gibt es bereits quantitative Strategien, doch die funktionieren nicht immer. Sie basieren auf bestimmten Annahmen über die Märkte, doch zuletzt haben wir gesehen, dass viele dieser traditionellen kausalen Zusammenhänge brechen. Auf den menschlichen Instinkt und dieses intuitive Wissen, was mache ich jetzt, wenn wirklich plötzlich die Aktien 15 Prozent einbrechen, darauf können wir nicht verzichten. Wenn man zum Beispiel ChatGTP fragt, wie soll ich anlegen? Dann kommt sehr schnell „bitte fragen Sie Ihren Anlageberater“.
Die menschliche Bestätigung ist nicht zu unterschätzen
TZ: Natürlich nutzen wir diese Technologien auch, wir hätten momentan aber kein gutes Gefühl, wenn wir uns auf der Plattform nur darauf verlassen würden. Wir sind große Fans von einer Kombination. Viele Nutzer kontaktieren uns auch, weil sie einen Sparring Partner brauchen. Sie wollen checken, ob ihre Anlagestrategie sinnvoll ist. Diese menschliche Bestätigung ist nicht zu unterschätzen. Interessanterweise sehen wir das besonders bei unseren jungen technikaffinen Nutzer*innen, die zwischen 25 und 35 sind.
Wann sollte man denn anfangen, sich mit dem Thema Geldanlage zu befassen?
TZ: Mit 18. allerspätestens. Es gibt kein zu Früh, um sich auszubilden. Je früher man investiert, desto länger kann man vom Zinseszins-Effekt profitieren.
LS: Das Problem ist, das Thema Geld wird nirgends unterrichtet, auch nicht im Finanz- und Bankenland Schweiz. Wir haben einen so großen Finanzplatz, trotzdem haben erstaunlich viele Leute keine Ahnung, wenn es um Finanzen und Wirtschaft geht. Wir arbeiten daher mit verschiedenen Schulen und Hochschulen zusammen, damit dieses Thema dort einen Platz findet.
TZ: Übrigens unterstützen inzwischen auch viele Unternehmen ihre Mitarbeiter bei der Finanzausbildung. Das Bewusstsein wird immer stärker, dass wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Viele Menschen haben sich in den letzten Jahren um physische und mentale Gesundheit gekümmert: Jetzt rückt die nächste Ressource, die Finanzen, ins Blickfeld und da sehen wir einen großen Bedarf.
Sie finanzieren sich neben Abo-Modellen auch über Werbung und Partnerschaften. Wie können Nutzer*innen sicher sein, dass sie tatsächlich unabhängige Informationen erhalten?
TZ: Wir machen keine Kompromisse bei der Unabhängigkeit. Denn die Finanzindustrie hat uns jahrelang vorgelebt, wie man es nicht machen sollte. Daher kommt das Misstrauen gegenüber der Beratung bei Banken.
LS: Bei uns findet man alle Fonds und ETFs, die zum Vertrieb im jeweiligen Land zugelassen sind, unabhängig davon, ob der Anbieter bei uns Werbung bucht. In unserem alten Bank-Leben haben wir nur zu oft gesehen, dass viele kleine Fondsboutiquen oft keine Chance haben, in den Distributionskanal einer Bank reinzukommen. Asset Manager, die bei uns Werbeflächen buchen, werden in der Produktdarstellung nicht priorisiert. Unser System zeigt die Produkte objektiv nach Performance und gewünschter Risikokategorie der Nutzer an. Werbepartner werden klar gekennzeichnet.
Wie sieht die Zukunft für UMushroom aus?
LS: Unser Ziel ist ganz klar, eine globale Plattform zu werden, der Marktplatz für Investitionen. Deshalb ist es uns auch wichtig, dass wir selbst kein Broker sind, sondern mit Brokern in den jeweiligen Ländern zusammenarbeiten. Dadurch sind wir viel skalierbarer. Unser Modell lebt von der Größe. Wir sind in der DACH-Region aktiv und expandieren gerade in die UK, die Niederlande und Spanien. Wenn wir die Plattform in Europa aufgebaut haben, geht es nach Afrika, Asien und so weiter.
Wir wollen eine neue Einstellung zu Geld schaffen
TZ: Und wir wollen eine neue Einstellung zu Geld schaffen: Bewusst oder unbewusst haben viele Menschen negative Assoziationen dazu: Es ist schmutzig, man redet nicht darüber. Das wollen wir ändern: Man darf Geld auch mit Spaß und Leichtigkeit verdienen.
Woher kommt der ungewöhnliche Name?
LS: Als wir darüber nachdachten, lief auf Arte ein Film über das Reich der Pilze. Das hat uns zu dem Namen inspiriert, denn er bildet die Werte ab, für die wir stehen: Miteinander wachsen, gleichwertig sein, Kooperationen mit anderen aufbauen, Wissen und Erfahrungen austauschen. Gemeinsam wollen wir ein neues Finanzsystem aufbauen, es sollen effektive Netze entstehen, so dass sich alle verbinden können.
Was war der dümmste Rat, den Sie in Ihrer Anlagekarriere bekommen haben?
TZ: Oft heißt es, man soll in unkorrelierte Anlageklassen investieren. Die Korrelation unter den Anlageklassen verändert sich je nach Konjunkturlage. In Krisenzeiten haben wir immer wieder gesehen, dass die Korrelation von fast allen Anlageklassen nahezu eins wird. Also muss man sich bewusst sein, dass man auch mit gut diversifizierten Portfolios Geld verlieren kann.