Vor eineinhalb Wochen sorgte die Europäische Zentralbank für Aufsehen, als sie offiziell die nächste Phase zur Entwicklung des digitalen Euro einläutete. Jochen Siegert ist Mitglied der Marktberatungsgruppe der EZB für die Entwicklung des digitalen Euro und hat mit €uro am Sonntag über die Unterschiede zu andere Digitalwährungen, die Anhängigkeit von internationalen Payment-Dienstleistern und die Sorgen von Bankenverbänden bezüglich einer digitalen Zentralbankwährung gesprochen.
€uro am Sonntag: Nach zwei Jahren des Abwägens hat die EZB vergangene Woche den Startschuss für den digitalen Euro gegeben, nun soll es in die Vorbereitungsphase gehen. Was bedeutet das, welche Schritte sind nun geplant und über welchen Zeithorizont sprechen wir?
Jochen Siegert: Die letzten zwei Jahre waren eine Investigationsphase, in der von der EZB folgendes ausgeleuchtet wurde: Wollen wir überhaupt einen digitalen Euro und wie kann er aussehen? Diese Analysephase ist jetzt abgeschlossen und die ersten Entwürfe liegen auf dem Tisch und in Brüssel zur politischen Entscheidungsfindung. Gleichzeitig hat die EZB letzte Woche die nächste Phase eingeläutet. Die Vorbereitungsphase, also z.B. Ausschreibung für Dienstleister und Entscheidungen für die technische Architektur. Das bedeutet aber nicht, dass der digitale Euro final kommt, er geht nur in dieser Aufbauphase in einen neuen Abschnitt über. Die Entscheidung ob und wie der digitale Euro gestartet wird, liegt in Brüssel. Mit Blick auf den Zeithorizont würde ich im Moment von einem Start in 2027 bis 2028 ausgehen. Allerdings ist es ein sehr komplexes europäisches Projekt: Die Infrastruktur in Europa ist in allen Ländern unterschiedlich und es sollen nicht nur einzelne Anwendungen wie P2P oder Länder wie Deutschland oder Frankreich abgedeckt werden. Insofern kann sich der Start auch noch nach hinten verschieben.
Welche Rolle haben Mark Zuckerbergs am Ende gescheiterter Versuch, den Libra-Coin ins Leben zu rufen, und die während der Corona-Pandemie stark zunehmende Kartenzahlung bei den Überlegungen zu einem digitalen Euro gespielt?
Wir haben aus europäischer Payment-Sicht mehrere Herausforderungen. Die erste ist, dass sich Kryptowährungen und zuvorderst Bitcoin als eine potentielle Konkurrenz zu den etablierten staatlichen Währungen entwickelten. Dann kam Libra/Diem von Facebook und Partnern, die im Tech-Sektor Rang und Namen und Zugang zu Milliarden Kunden haben. Das war ein Erweckungsmoment sowohl für die Politik als auch die Zentralbanken. Die Frage war: Was passiert, wenn uns dieses Tool, also das Geld aus der Hand genommen, und von Dritten privatisiert wird und wir keine Kontrollen mehr darüber haben? Dieses „Erweckungserlebnis“ gab es nicht nur in Europa, sondern global. Annähernd alle Nationalbanken weltweit beschäftigen sich mit digitalen Zentralbankwährungen. Die Chinesen sind schon live, aber es gibt Projekte überall auf der Welt. Ob daraus dann Produkte werden, die live gehen, steht auf einem anderen Blatt.
Der zweite Faktor ist das grundlegendes Problem der Abhängigkeit von Dritten in der kritischen Zahlungsinfrastruktur, was wir in Europa seit Jahrzehnten haben: Wir verfügen über den Euro und der funktioniert wunderbar. Egal wo ich in der Euro-Zone bin, ich kann mit Euro bezahlen. Digitale Zahlmethoden, z.B. die nationalen Debitkarte, in Deutschland das Girocard-System, funktionieren nicht mehr, sobald ich an die deutsche Grenze komme. Wir brauchen dann die Hilfe von Dritt-Anbietern wie Maestro oder VPay um mit unseren Karten jenseits der Grenzen bezahlen zu können. So sind wir abhängig von internationalen Anbietern wie MasterCard und Visa.
Und eine komplett digitale, paneuropäische Lösung gibt es auch nicht.
Im digitalen Online-Payment-Bereich haben wir einen noch viel fragmentierteren Markt. Da gibt es z.B. iDeal in Holland, Bizum in Spanien, Swish in den Nordics und Twint in der Schweiz. Alle sind inkompatibel zueinander, obwohl sie eigentlich mehr oder weniger das Gleiche anbieten und als Deutscher kann ich keines der Verfahren mit meinem Bankkonto nutzen. Schaut man aus 10 000 Meter Flughöhe auf die europäische Payment-Infrastruktur, haben wir zwar eine wunderbare SEPA-IBAN-Infrastruktur und den Euro als Bargeld. Außerhalb dessen gibt es aber keinerlei harmonisierte Payment-Infrastruktur. Wir sind daher abhängig von internationalen Payment-Dienstleistern um uns Brücken zwischen den einzelnen europäischen Ländern zu bauen. Es gibt kein souveränes europäisches Zahlverfahren. Das Zahlverfahren, das wir haben – Bargeld –, wird weniger und weniger genutzt. Das ist durchaus eine Herausforderung für Zentralbanken.
Souveränität ist in den letzten Jahren in der Politik ein immer wichtigeres Thema geworden. Dennoch steht eher nicht zu erwarten, dass die großen Kreditkartenkonzerne den europäischen Markt aufgeben.
Im Zuge des Ukraine-Konflikts gab es sanktionsbedingt einen Erweckungsmoment. Mastercard und Visa haben von einem Tag auf den anderen in Russland ihren Dienst eingestellt, was dazu führte, dass russische Karteninhaber nur noch schwer bezahlen konnten. Die EZB entwickelt mit dem digitalen Euro auch eine unabhängige zahlungsverkehrskritische Infrastruktur. In diesem Kontext soll die bestehenden Abhängigkeit von nicht-europäischen Anbietern reduziert werden.
Beim digitalen Euro ist die erste Redaktion oft: Haben wir doch schon, schließlich bezahlen wir sehr viel digital. Das stimmt so allerdings nicht. Wo genau liegen die Unterschiede?
Der erste Punkt ist, es handelt sich nicht um Giralgeld, sondern Zentralbankgeld. Der Endkunde hat, wie bei Bargeld, eine Forderung gegenüber der Zentralbank und nicht der Geschäftsbank. Dieser Unterschied ist für den Endkunden aber in der Regel nicht bekannt. Aber in der Tat: Jeder kann wunderbar mit seinen bekannten Zahlmethoden bezahlen. Der digitalen Euro löst also kein wirkliches Endkundenproblem im Zahlungsverkehr. Das ist aus meiner Sicht eine der größten Herausforderungen des Projektes. Das kann gegebenenfalls dazu führen, dass die Endkunden das Produkt nicht in der Form nutzen, wie es sich die EZB vorstellt.
In Schweden, wo sich ebenfalls seit über zwei Jahren mit der Einführung der E-Krona beschäftigt wird, wurde im März eine Untersuchung vorgelegt, die zu dem Schluss kam, dass die Argumente für eine digitale Zentralbankwährung noch nicht überzeugend genug sind. Spielen solche Erkenntnisse eine Rolle für die EZB?
Der Vergleich mit Schweden ist ein wenig unfair. In Schweden herrscht eine andere Situation. Bargeld spielt heute dort schon nicht mehr die Rolle wie beispielsweise bei uns in Deutschland. Aber dafür dominiert das lokale, digitale skandinavische Zahlverfahren Swish. Schweden ist daher deutlich weniger abhängig von internationalen Zahlenverfahren und viel souveräner. Der Ansatz der EZB eine höhere Souveränität in der kritischen Zahlungsinfrastruktur anzustreben ist daher ein anderer. Die Schweden befinden sich demnach in einer anderen Situation als der Euroraum.
Stichwort „Kontrolle“: Mit einem digitalen Euro wären auch Transaktionen sehr klar nachvollziehbar, wodurch wir gläserne Bürger werden könnten. Wie adressieren Sie solche Themen in der Zusammenarbeit mit der EZB?
Offline-Transaktionen sind nach aktuellen Planungen komplett anonym. Online-Transaktionen verfügen über die gleiche Privatsphäre wie heutige Girocard-Transaktionen. Nur die Banken, nicht die EZB, sehen dann Transaktionsdaten beziehungsweise wissen, wer der Nutzer ist. Es liegt also ein höherer Datenschutz vor als bei anderen heute genutzten Zahlverfahren. Wichtig auch: der digitale Euro soll das Bargeld nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
Wie lassen sich diese Anonymität mit Sicherheitsauflagen in den Bereichen Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung et cetera unter einen Hut bekommen?
Banken bieten dem Kunden den Zugang zum digitalen Euro. Banken unterliegen auch bei dem Produkt des digitalen Euro den gängigen Vorschriften zu den Sicherheitsauflagen.
Von Bankenverbänden wurde die Befürchtung vorgebracht, Kunden könnten in Zukunft digitale Euro halten und ihr Geld nicht mehr bei den Banken hinterlegen, was schlecht für deren Einlagengeschäft wäre. Inwieweit ist die geforderte Deckelung von 3.000 Euro überhaupt notwendig, jetzt wo es auch wieder Zinsen gibt?
Das ist eine sehr komplexe Diskussion, die aus sehr verschiedenen Argumenten und europäischen Sichtweisen geführt wird. Die grundlegende Frage ist: Wird der digitale Euro eine Wertaufbewahrung oder wird er ein Zahlverfahren? Wenn er ein reines Zahlverfahren ist, haben wir in Europa bereits Erfahrung mit PayPal. In der Regel wird von Kunden kaum oder kein Geld auf dem PayPal-Konto gehalten, da nur als Zahlverfahren genutzt. So wie der digitale Euro aktuell geplant ist, erwarte ich keinen Mehrwert für Endkunden als Wertaufbewahrung. Vor allem, weil das Konto mit dem digitalen Euro nicht verzinst wird. Ein Haltelimit ist trotzdem sinnvoll im Sinne der Stabilität des Finanzstandorts, da so keine sogenannten digitalen Bankruns möglich sind.
Eine weitere Sorge der Bankenverbände ist, die EZB könnte mit dem digitalen Euro als zusätzlicher Wettbewerber in den Zahlungsverkehr einsteigen. Welche Rolle spielen derartige Bedenken im aktuellen Entwicklungsstadium?
Es steht ein Kompensationsmodell für Banken und Sparkassen im Raum, das mehr oder weniger vergleichbar ist mit dem heutigen Kartengeschäft. Dennoch ist aus meiner Sicht ein politischer und demokratischer Diskurs notwendig: Soll der Staat mit seiner öffentlichen Infrastruktur in den etablierten privatwirtschaftlichen Zahlungsverkehr lenkend eingreifen? Welche Konsequenzen hat dies für Innovationen von zukünftigen privatwirtschaftlichen Initiativen im Zahlungsverkehr?
Wenn der digitale Euro ein gesetzliches Zahlungsmittel ist, wäre auch jeder Händler verpflichtet, ihn zu akzeptieren.
Die Herausforderung neuer Zahlverfahren der Vergangenheit war immer die Überwindung der kritischen Masse: Das Henne-Ei-Problem. Der Endkunde hat nur Interesse mit einem neuen System zu bezahlen, wenn es eine große Anzahl angeschlossen Händler gibt. Auf der anderen Seite implementieren die Händler das Verfahren nur, wenn es eine signifikante Anzahl von Kunden gibt, die damit bezahlen können. Mit einer gesetzlichen Verpflichtung liegt zum Start eine breite paneuropäische Akzeptanzinfrastruktur vor. Ein aus Endkundensicht signifikanter Mehrwert.
Zuletzt kamen Gerüchte auf, wonach die französische Nationalbank Banque de France die Kryptowährung Ripple in die Wirtschaft integrieren könnte. Für wie wahrscheinlich halten Sie einen solchen Schritt und welche Auswirkungen könnte das auf den digitalen Euro haben?
Erstens die EZB die entwickelt die Infrastruktur des digitalen Euro, nicht die Nationalbanken. Das heißt, wenn überhaupt, müsste die EZB mit Ripple kooperieren und nicht eine Nationalbank. Zweitens hat die EZB eine Blockchain-basierte Lösung in wesentlichen Teilen bereits ausgeschlossen. Drittens, der Prozess der Ausschreibung der Infrastruktur beginnt jetzt erst. Das sind also drei harte Gründe, die gegen dieses Gerücht im Kontext des digitalen Euro sprechen.
Wie steht es um die Programmierbarkeit des digitalen Euro, insbesondere im Hinblick auf Smart Contracts?
Die EZB hat ganz eindeutig signalisiert, dass der digitale Euro für Endkunden vermutlich nicht auf einer Blockchain/DLT Infrastruktur aufsetzen wird. Ich erwarte daher keine Programmierbarkeit mit Smart Contracts, wie man es beispielsweise von Ethereum kennt. Es wird aber trotzdem eine Grundinfrastruktur geben, um Zahlungen zumindest zu automatisieren vergleichbar mit einem Dauerauftrag, was ja auch eine Form einer programmierbaren Zahlung ist.