Währungshüter halten Zügel noch straff, deuten aber bei weiter rückläufiger Inflation Zinssenkungen an.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen auf ihrer April-Sitzung am Donnerstag wie erwartet unverändert gelassen. Die Währungshüter deuteten aber eine bevorstehende Zinswende an: Sollte beim EZB-Rat die Zuversicht weiter wachsen, dass die Inflation sich nachhaltig dem Zielwert annähere, "wäre eine Lockerung der aktuellen geldpolitischen Straffung angemessen", teilte die Notenbank nach ihrer Sitzung mit. An der Börse reduzierte der DAX am Donnerstag Nachmittag seine Verluste von bis zu 0,8 Prozent, blieb aber knapp im Minus.
Angesichts rückläufiger Inflation in der Euro-Zone rechnen die meisten Experten inzwischen mit einer ersten Leitzinssenkung der EZB auf der Zinssitzung am 6. Juni. So ist die Euro-Inflationsrate im März auf 2,4 (Februar: 2,6) Prozent zurückgegangen und damit nicht mehr weit vom Inflationsziel der EZB von zwei Prozent entfernt. Derzeit wird am Markt mit mindestens drei Zinssenkungen der Euro-Währungshüter bis Jahresende gerechnet. In den vergangenen Wochen hatte auch eine Reihe von EZB-Mitgliedern die Ansicht geäußert, die Zinssitzung am 6. Juni könnte der geeignete Startpunkt für die Zinswende sein. Denn das Lohnwachstum, das zuletzt einer der stärksten Inflationstreiber im Euroraum war, hat sich zuletzt etwas abgeschwächt.
Die EZB hatte zuletzt wiederholt erklärt, dass zum Zeitpunkt der Juni-Sitzung auch die nötigen Daten zum Lohnwachstum vorlägen, die für eine Zinssenkungs-Entscheidung nötig seien.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer äußerte sich am Donnerstag kritisch zu einer allzu raschen Zinssenkung: "Die EZB sollte der Versuchung widerstehen, ihre Zinsen bereits im Juni zu senken. Nicht nur in den USA, sondern auch im Euroraum sind die Verbraucherpreise in den letzten Monaten wieder deutlich stärker gestiegen, als es auf Dauer mit dem Inflationsziel von zwei Prozent vereinbar ist. Das dürfte vor allem an den weiter kräftig steigenden Löhnen liegen. Das Inflationsproblem löst sich nicht einfach in Luft auf, wie die vielen Tauben im EZB-Rat noch immer hoffen. Die USA sind ein warnendes Beispiel."
USA: Inflation legt zu, Zinssenkung wohl später
Anders als in Europa ist die Inflationsrate in den USA im März auf 3,5 (Vormonat: 3,2) Prozent geklettert, wodurch die Aussichten auf rasche Zinssenkungen der US-Notenbank Fed schwinden. Derzeit gehen dort die meisten Marktteilnehmer von einer ersten Zinssekung im September aus, und im Schnitt nur noch von zwei Senkungen in diesem Jahr, nachdem zunächst bis zu sechs Zinsschritte erwartet worden waren.
Volkswirte richten den Blick derzeit vor allem auf die zunehmende Entkopplung der Inflationsentwicklung in der Euro-Zone und den USA. Dass die EZB deshalb vor der Fed die Zinswende einleiten könnte, wirft auch Fragen nach der Wirksamkeit der Geldpolitik der EZB und die Auswirkungen auf die Kurse der Staatsanleihen auf. ZEW-Experte Friedrich Heinemann sieht einen Zielkonflikt: "Sollte sich die Zinsdifferenz zwischen Fed und EZB zu sehr vergrößern, dann könnte ein abwertender Euro die Inflation in Europa wieder anheizen. Es gibt also auch eine transatlantische Perspektive für die bald beginnende EZB-Zinssenkungsphase", sagte Heinemann.
Deka-Bank-Chefökonom Ulrich Kater sieht das weniger problematisch: "Beim Timing der Zinsschritte ist die EZB von der Geldpolitik der Fed nicht abhängig. Der Wechselkurs hat nicht mehr die Bedeutung früherer Jahre. Wenn die Konjunkturunterschiede zwischen Europa und den USA so groß werden wie gegenwärtig, dann kann auch die Geldpolitik temporär auseinander gehen", erklärte Kater.
EZB-Chefin Christine Lagarde selbst ließ am Donnerstag offen, ob die EZB vor der Fed die Zinswende einläuten könnte. Die Zinsentscheidungen würden von Sitzung zu Sitzung und abhängig von den Daten getroffen, sagte sie. Mit Blick auf die US-Notenbank Fed ergänzte sie: "Ich werde nicht über die geldpolitische Haltung und die Entscheidungen einer anderen Zentralbank spekulieren."