Ist der Ausstieg des Bundes bei der Commerzbank erst der Anfang? Ökonomen fordern den Rückzug des Staates auch aus seinen verbliebenen Beteiligungen unter anderem an der Post (DHL) und an der Deutschen Telekom - das könnte die Aktienkurse der DAX-Konzerne antreiben. 

Der Bund hat den Rückzug aus seiner zuletzt 16,5prozentigen Beteiligung aus der Commerzbank eingeleitet. Dass die italienische Unicredit mittlerweile ein Paket erworben und damit Fusionsfantasie für den ganzen Sektor ausgelöst hat, dürfte die Aktienkurse der Banken weiter antreiben.

Im Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag, einer Exklusiv-Umfrage unter führenden Volkswirten, haben die Experten jetzt den Bund aufgefordert, sich auch aus weiteren Beteiligungen an DAX-Konzernen zurückzuziehen. So stammen die verbliebenen Staatsanteile an der Post/DHL Group (16,8 Prozent) und Deutsche Telekom (27,8 Prozent) noch aus der Zeit der Staatsmonopole am Post- und Fernmeldewesen, die es längst nicht mehr gibt. Ein Staatsrückzug - das zeigt die Erfahrung - kann für die Unternehmen und ihre Aktien neue Spielräume schaffen, was wiederum Gewinne und Aktienkurse antreiben kann.

Der Bund ist derzeit aus verschiedenen Gründen noch immer an mehreren DAX-Konzernen beteiligt, darunter Commerzbank, Post/DHL Group, Deutsche Telekom und Airbus. Erst vergangene Woche hatte die Finanzagentur des Bundes den Ausstieg aus der Commerzbank-Beteiligung angekündigt, die zur Stabilisierung des Instituts in der Finanzkrise 2008/2009 eingegangen worden war.

81 Prozent der Teilnehmer des Ökonomen-Barometers von €uro am Sonntag befürworten eine weitere Privatisierung von derartigen Bundesbeteiligungen. Interessant ist der Hinweis von Wolfgang Ströbele (Uni Münster), dass eine Privatisierung nur dann erfolgversprechend sei, wenn es im entsprechenden Markt Wettbewerb und keine monopolistischen Strukturen gebe. Laut Lars Krömer, Chefvolkswirt des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, sollten sich Staatsbeteiligungen grundsätzlich auf strategische Wirtschaftsbereiche wie Rüstung/Defense und Energie sowie auf systemrelevante Vertrauenskrisen (Commerzbank im Jahr 2008) beschränken.

Nachdem der Bund den Ausstieg aus der Commerzbank eingeleitet hat, sehen die meisten Ökonomen den Logistikkonzern DHL Group und die Deutsche Telekom als die nächsten möglichen Kandidaten für einen Rückzug an. 80 beziehungsweise 72,5 Prozent der Teilnehmer sprechen sich dafür aus. Lediglich 40 Prozent halten einen Staatsausstieg beim Versorger Uniper für sinnvoll, bei dem der Bund nach Ausbruch des Russland-Ukraine-Kriegs eingestiegen, um die Energieversorgung zu gewährleisten. Airbus und Hensoldt gelten als Rüstungskonzerne mit strategischem Interesse des Staates. Nur jeweils rund 30 Prozent der Ökonomen befürworten hier einen Verkauf der Staatsanteile.

Fazit

Hier eine Auswahl von Kommentaren der Volkswirte in der exklusiven €uro-am-Sonntag-Umfrage:

„Staatliche Beteiligungen sollten nur bei systemrelevanten Unternehmen vorgenommen werden, wenn keine privatwirtschaftliche Finanzierung möglich ist."

Carsten Mumm, Chefvolkswirt Donner&Reuschel


„Bei Airbus halte ich die die Beteiligung nur wegen des Defense(Rüstungs)-Bereichs für sinnvoll. Das ist momentan einer der wenigen Bereiche, in dem staatliche Beteiligungen gerechtfertigt erscheinen."

Prof. Christian Schwens, Uni Köln


„Staatsbeteiligungen sollten sich auf strategische Wirtschaftsbereiche (Defense, Energie) beschränken oder bei systemrelevanten Vertrauenskrisen (Commerzbank in der Finanzkrise 2008/2009) zum Einsatz kommen."

Lars Krömer, Chefvolkswirt Arbeitgeberverband Gesamtmetall


„Weniger Staat kann in vielen Bereichen zu mehr Wettbewerb und damit zu mehr Angebotsvielfalt, besseren Produkten und günstigeren Preisen für die Kunden führen. Dies geschieht aber nur, wenn genügend Anbieter miteinander im Wettbewerb stehen. Monopolbildungen müssen vermieden werden ... Privatisierungen sind daher in manchen, aber nicht in allen Fällen zu begrüßen."

Felix Schmidt, Senior Economist Berenberg Bank


„Der Staat ist kein guter Unternehmer - siehe Bundesbahn."

Prof. Bernd Raffelhüschen, Leiter des Instituts für Finanzwissenschaft, Uni Freiburg


Deutsche Telekom (WKN: 555750)

Hinweis auf Interessenkonflikte
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