Bestsellerautor, Volkswirt, Ex-Bundesbanker, ehemaliger Finanzsenator von Berlin und einstiges SPD-Mitglied: Das alles ist Thilo Sarrazin. Bekannt wurde er vor allem für seine kritische Haltung zum Islam. Dies ist die Langfassung des Interviews, das auszugsweise in der EuramS-Ausgabe 45 veröffentlicht wurde. Neben Einwanderung geht es weiter unten auch um Wirtschaft, Euro, Geldanlage, AFD und Sahra Wagenknecht.

€uro am Sonntag: Herr Dr. Sarrazin, nach Ihrem Buch „Deutschland schafft sich ab“, das 2010 erschien, hat die SPD zehn Jahre gebraucht, um Sie aus der Partei zu werfen. Drei Jahre danach sagt nun der SPD-Politiker und amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz, die Zahl irregulärer Flüchtlinge sei zu hoch und spricht sich für eine striktere Abschiebungspolitik aus. Fühlen Sie sich bestätigt?

Thilo Sarrazin: Ach, wissen Sie, ich bin so sehr angegriffen worden und habe mich so sehr in der eigenen Partei in einer Minderheitenposition gesehen, aber auch in der Öffentlichkeit war es nicht immer einfach, dass ich von dieser Frage, ob ich mich bestätigt fühle oder nicht, eigentlich innerlich Abstand genommen habe.

Immerhin setzt sich anscheinend die Erkenntnis durch, dass es mit einem „Wir schaffen das“ doch nicht getan ist …

Ich habe ja gewusst, dass meine Analysen zutrafen. Für mich war die Frage: Wann dringt die Erkenntnis der Wirklichkeit auch in die handelnde Politik ein? Das sehen wir im Augenblick. Allerdings weht draußen ein Orkan, und man öffnet die Tür, um ein bisschen frischen Wind der Veränderung reinzulassen – aber ja nicht zu weit, denn dann könnte ja der Orkan im Zimmer sein. Dieses Türspaltöffnen führt im Augenblick unter anderem der Bundeskanzler vor.

Reicht das?

Natürlich weiß er genau, dass das, was er vorschlägt, zwar geeignet ist, den einen oder anderen in der Öffentlichkeit zu beruhigen; er muss aber auch wissen, dass dies in keiner Weise geeignet ist, den Zustrom wirklich zu begrenzen, zu stoppen oder zu lenken.

Scholz versuchte dann, die Nigerianer quasi zu bestechen.

Der Bundeskanzler macht aus Ihrer Sicht immer noch viel zu wenig?

Man muss nur seinen Besuch in Nigeria vor einigen Tagen sehen. Wie er die Dinge ansprach – und wie mit leerem, arrogantem Blick der Präsident von Nigeria über Scholz hinwegschaute. Das hat den einfach nicht interessiert. Er hat auch ganz klar gesagt, er nimmt niemanden zurück, der keinen Ausweis hat. Jedem, der seinen Ausweis wegwirft, ist also garantiert, dass er nicht mehr nach Nigeria kommt. Und er nimmt schon gar keine straffällig Gewordenen zurück. Letztendlich hat er Scholz kalt abblitzen lassen. Scholz versuchte dann, die Nigerianer quasi zu bestechen: Wenn ihr die zurücknehmt, dürfen auch welche zu uns kommen und hier eine Lehre machen. Das wirkte angesichts der Dimensionen des Problems einfach nur peinlich und lächerlich.

Warum genau reichen Ihnen die aktuellen Entwicklungen nicht?

Das ist ja eine reine Symptomkur. Wenn wir pro Jahr – und das sagt das Statistische Bundesamt – eine Einwanderung aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten von circa 400 000 haben und wenn die am Ende alle bei uns bleiben können und wenn wir im Jahr 15 000 abschieben, wie das im letzten Jahr war, ist diese Relation absurd. Selbst wenn Herr Scholz die Abschiebung verdoppeln und verdreifachen würde – was er mit dem gegenwärtigen Instrumentarium nicht tun kann –, bliebe dies absurd.

Im Zweifel dürften halt auch Gesetze im Weg stehen ...

Dann muss man eben die Rechtslage ändern. Dazu gehört bei uns, dass man die Genfer Flüchtlingskonvention wieder in ihre alte Form zurückführt, die bis 1965 galt: dass sie nämlich nur für Flüchtlinge aus Europa gilt. Dazu gehört auch, dass man die extensive Interpretation der Europäischen Menschenrechtskonvention wieder zurückfährt oder aus dieser Konvention aussteigt oder sie revidiert. Es kann nicht sein, dass jeder Mensch auf der Welt, der an die europäischen Grenzen kommt, Einlass begehren und Asyl beantragen kann. Das kann einfach nicht funktionieren. Wenn solch ein Rechtsinstrument nicht mehr zur Gegenwart passt, dann muss es geändert werden.

Was müsste sich in politischer Hinsicht ändern?

Die Lösung wäre zunächst einmal zu erkennen, dass wir ein Problem haben – und dass das Problem mit dem Islam und der Masseneinwanderung aus Afrika und aus dem Nahen und Mittleren Osten zusammenhängt. Dies überhaupt anzuerkennen ist in weiten Teilen der CDU, in den überwiegenden Teilen der SPD und den weit überwiegenden Teilen der Grünen unmöglich. Erst wenn man das Problem in seiner ganzen Dimension erkennt und dann auch anspricht, wird sich etwas ändern. Das wird nach meinem Gefühl noch zehn bis 15 Jahre dauern – und dann mag es auch zu spät sein.

Angela Merkel wird selbst der CDU zunehmend peinlich.

Aber es äußern sich doch immer wieder Politiker kritisch zu den mit der Zuwanderung verbundenen Problemen?

Wir müssen uns demnächst ehrlich machen. Als Angela Merkel über mein Buch „Deutschland schafft sich ab“ offiziell verbreiten ließ, die Bundeskanzlerin halte dieses Buch für nicht hilfreich, war dies eine verräterische Formulierung. Sie hat nicht gesagt, dass seine Inhalte falsch seien. Das konnte sie schon damals nicht mit gutem Gewissen sagen. Sie fand eine Debatte über den Integrationswillen und die Integrationsfähigkeit muslimischer Einwanderer grundsätzlich nicht hilfreich und wollte sie unterdrücken. Das ist die herrschende Politik bis heute, auch wenn Angela Merkel selbst der CDU zunehmend peinlich wird. Was hilft es, wenn der jeweils amtierende Bürgermeister von Berlin-Neukölln die Probleme in seinem Bezirk beklagt und auch genau beschreibt, wenn es aber in der sogenannten großen Politik, die über Integrationsmaßnahmen, über Assimilierung, über Bildung, über Einwanderung entscheidet, immer gerade so weitergeht? Seitdem „Deutschland schafft sich ab“ erschien, sind etwa drei Millionen Menschen über das Asylrecht nach Deutschland eingewandert – größtenteils aus dem Nahen und Mittleren Osten und 80 Prozent unter ihnen Muslime. Das sind vollendete Tatsachen. Wir müssen jetzt unterscheiden, wie wir mit den Menschen, welche bei uns sind, umgehen: welche bleiben dürfen, welche nicht bleiben dürfen, wie man diejenigen, die da sind, bestmöglich integriert und assimiliert. Und wir müssen überlegen, wie wir künftig solch einen Zustrom verhindern.

Es ist kein Zufall, dass kein einziges merklich islamisches Land auf der ganzen Welt eine wirklich funktionierende Demokratie im westlichen Sinne ist.

Ihnen wurde vorgeworfen, ein Brandstifter und Rassist zu sein. Sinngemäß hieß es unter anderem, selbst wenn es hier und da Probleme gebe, hätten diese mit jungen Männern zu tun, nicht mit dem Islam und Muslimen. Jetzt sehen wir einen türkischen Präsidenten, der die Hamas als Befreier bezeichnet und Israel als Verbrecher und von einem westlichen Imperialismus spricht. Stellt sich da nicht mehr denn je grundsätzlich die Frage, ob es überhaupt eine Integration oder gar Assimilation geben kann?

Ich glaube schon, dass es liberale und friedliebende Muslime gibt. Man muss aber sehen, dass die religiöse Grundstruktur des Islam, wie sie im Koran niedergelegt wird, letztlich doch Abgrenzung und einen gewissen Glaubensfanatismus begünstigt. Es ist kein Zufall, dass kein einziges merklich islamisches Land auf der ganzen Welt eine wirklich funktionierende Demokratie im westlichen Sinne ist. Es ist auch kein Zufall, dass der Kampf der Palästinenser in der gesamten islamischen Welt auf eine breite emotionale Unterstützung trifft. Hier gehen der Kampf für den Islam, der Kampf gegen die Ungläubigen, der Kampf gegen den Westen, der Kampf gegen das Abendland und der Kampf gegen die Juden ineinander über. Das wird in den Köpfen überhaupt gar nicht getrennt. Gleichzeitig gibt es eine wachsende demografische Dominanz der Muslime. Und man darf sich keine Illusionen machen: Die Stimmung unter den Muslimen ist nicht projüdisch. Sie ist in großen Teilen antisemitisch. In Berlin wird den Juden bereits von ihren eigenen Verbänden empfohlen, nicht mit der Kippa auf die Straße zu gehen. Wenn ich Jude wäre, würde ich mir jetzt ernsthaft Sorgen um meine Zukunft in Deutschland und ganz Europa machen.

Machen wir mit Erdogan und Co gegenwärtig den gleichen Fehler wie in der Zeit zuvor mit Putin: zu wenig Härte bei Leuten, die sich explizit gegen uns positionieren? Noch dürfte der Westen die militärische Oberhand haben – und Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach gerade davon, Deutschland müsse wieder „kriegstüchtig“ werden. Muss der Westen aggressiver auftreten?

Erst mal: In der internationalen Weltgemeinschaft muss man mit den Machthabern leben, die ein Land hervorbringt. Ein bisschen Appeasement ist zumindest nicht von Anfang an unvernünftig. Der Moment, als man erkannte, es geht nicht so nicht weiter, war mit Putin erreicht, als Russland die Ukraine angriff. Dann haben wir zu hohen Kosten unsere Politik angepasst. Für die Türkei gilt: Sie ist ein wesentlicher Teil der Außengrenzen Europas, insoweit können wir sie nicht wegdefinieren und müssen auch mit den Machthabern leben, die so ein Land hervorbringt. Aber in der Tat bin ich der Meinung, dass Europa in der Summe letztlich eine Politik betreiben muss, die wirklich die Kontrolle über die Grenzen und die Einwanderung wiederherstellt. Am Ende wird es nur funktionieren, wenn wir eine militärisch geschützte Grenze der Europäischen Union haben, die vom Bosporus und vom Schwarzen Meer um ganz Europa herum bis in den Atlantik reicht. Jeder, der diese Grenze überschreitet und dazu keine amtliche Erlaubnis hat, geht ausnahmslos wieder zum Start seiner Reise zurück. Dies muss als Prinzip installiert werden – und zwar nicht in warmen Worten, sondern im konkreten Tun. Erst wenn die Staaten südlich und östlich dieser Militärgrenze erkennen, dass sie keine Chance haben, diese Grenze durch illegale Einwanderer und Asylbewerber zu überwinden, werden sie zu Verhandlungen bereit sein.

Hat sich eigentlich mal jemand bei Ihnen in jüngster Zeit entschuldigt?

Von den Machthabern der SPD? Nein, natürlich nicht. Das wird auch nie geschehen. Aber sie werden ja vom Wähler wirklich großzügig bestraft.

Das klingt jetzt doch ein bisschen nach Genugtuung …

Natürlich freut man sich, dass man recht gehabt hat, aber meine Trauer darüber, dass trotz meiner Warnung alles so schieflief, ist noch weitaus größer.

HIER BEGINNT DER ZUSATZTEIL DES INTERVIEWS

Es ist nicht auszuschließen, dass es für die SPD bei den Wahlen im nächsten Jahr in Ostdeutschland mit der Fünf-Prozent-Hürde knapp wird.

Zumal Ihr Herz vermutlich trotzdem noch an der SPD hängt?

Es hilft ja nichts: Wir brauchen demokratische Volksparteien, die in der Lage sind, größere zweistellige Teile der Bevölkerung politisch und gesellschaftlich einzubinden. Was wir jetzt beobachten, dass die SPD durch eigenes Verschulden aus dem Status einer Volkspartei rausrutscht, hätte früher nie einer für möglich gehalten. Es ist nicht auszuschließen, dass es für die SPD bei den Wahlen im nächsten Jahr in Ostdeutschland mit der Fünf-Prozent-Hürde knapp wird. Die SPD hat sehr viel zu tun, damit sie ihren Status als Volkspartei bewahren kann. Wenn Sie das nicht schafft, wird sie genauso untergehen wie die christlichen Demokraten in Italien untergegangen sind.

Halten Sie das tatsächlich für möglich?

Es ist Parteien nicht naturgemäß ein ewiges Leben beschert.

Haben Sie eigentlich das Gefühl, dass Sie in der falschen Partei waren?

Ich war seit 1973 natürlich gerne in der SPD, weil ich die Kombination von Friedenspolitik, Sozialpolitik und der vernünftigen Wirtschaftspolitik einfach in der Summe als zielführender empfand. Aber in rein ökonomischen Fragen hatte ich doch immer sehr liberale Positionen, die in der SPD immer Minderheitenposition waren. Aber das hat mich in meiner politischen Tätigkeit dort nicht behindert. Insofern war ich natürlich auch für die Gestaltungsmöglichkeiten dankbar, die ich zum Beispiel als Berliner Finanzsenator hatte und würde nie ein böses Wort sagen über meinen ehemaligen Regierenden Bürgermeister, Klaus Wowereit. Ebenso wenig wie der sich öffentlich negativ über seinen ehemaligen Finanzsenator äußert. Was vergangen ist, hat seine eigene Würde. Das sollte man nicht im Nachhinein durch übermäßige Beschimpfungen beschmutzen.

Wenn Schröder wirklich auspackt, könnte das ein Riesenschaden für die SPD sein. Diesen Imageschaden wollte man vermeiden.

Sie sind aus der SPD geflogen, Russlandlobbyist Gerhard Schröder wurde Ende Oktober für 60 Jahre SPD-Parteimitgliedschaft geehrt. Wieso hält die SPD Ihrer Meinung nach an Schröder fest?

Erstens: Er ist ein ehemaliger Bundeskanzler. Zweitens gab es in der SPD eine extrem starke Strömung von Osteuropa-Freunden und Russlandverstehern aus der Zeit des Kalten Krieges, die sich in gewissem Umfang verselbstständigt und dabei teilweise auch sehr viel Geld verdient hat. Und ich bin sicher, hier steht noch manches Gespenst im Schrank. Wenn man das öffentlich rausholen würde, wird es peinlich. Wenn Schröder intern gesagt hat: Freunde, wenn ihr mir zu nahe tretet, pack ich mal aus, was der Sigmar Gabriel gemacht hat, was die Schwesig gemacht hat, was ich alles gehört habe, was da so gelaufen ist. Also wenn er wirklich auspackt, könnte das ein Riesenschaden für die SPD sein und auch für noch amtierende und regierende Politiker. Diesen Imageschaden wollte man eben vermeiden.

Kommen wir zu einer anderen Partei: Eigentlich war auch vor zig Jahren schon absehbar, dass eine Partei wie die AFD zunehmend an Popularität gewinnen wird, wenn der politische Mainstream die Themen Zuwanderung und Islam kleinredet …

Man kann nur hoffen, dass die amtierenden Politiker und herrschenden Strukturen, einschließlich des öffentlichen Rundfunks, erkennen, dass es so nicht weitergeht und dass sie einen immer größeren Teil der Bevölkerung unserem System, so wie es jetzt funktioniert, entfremden. Das ist keine Angelegenheit, die auf Deutschland beschränkt ist. In Italien regieren die Gebrüder Italiens. In Schweden sind die Schwedendemokraten an der Regierung beteiligt. Die PiS hat trotz ihrer Wahlniederlage immer noch 35 Prozent in Polen. Und die AFD etabliert sich im Augenblick in Deutschland als zweitgrößte Partei. In Ostdeutschland als größte Partei. Wenn die herrschende Politik nicht schnell reagiert – vor allen Dingen mit den richtigen, langfristig wirkenden Maßnahmen –, dann wird die AFD gekommen sein, um zu bleiben. Das ist meine Prognose.

Jetzt haben wir einen neuen Heimatverein namens AFD.

Die Anfänge der AFD erinnern ein bisschen an die PDS, aus der später Die Linke wurde. Nach der Wende wurde die PDS von vielen Politikern im Westen eher belächelt und man ging davon aus, dass sie sich bald überlebt hätte. Stattdessen hielt sie sich lange Zeit recht gut ...

Die PDS war in den ersten zehn bis 20 Jahren für viele Menschen eine Art Heimatverein, und als solcher hat sie auch ganz gut funktioniert. Jetzt haben wir eben – und das ist das Gefährliche – einen neuen Heimatverein namens AFD. Der funktioniert, jedenfalls, was die Stimmergebnisse angeht, noch weitaus besser. Wenn sich das mal etabliert hat, verändern sich auf kommunaler Ebene, auf Landesebene, in der Gesellschaft, in den Medien, überall auch die Kraftfelder. Es wird eben nicht möglich sein, die politische Organisation, die letztlich von 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung gestützt wird, durch Brandmauern irgendwelcher Art abzugrenzen und einzuhegen. Das ist immer schwierig mit Mauern. Das haben wir ja auch in der Vergangenheit gelernt.

Zumal die AFD inzwischen längst nicht nur im Osten durchaus beachtliche Erfolge feiert ...

Man muss sich mal überlegen, was das machtpolitisch bedeutet. In Bayern haben mittlerweile 30 Prozent der Wähler rechts von der CSU gewählt. Franz Josef Strauß würde sich um Grabe umdrehen, wenn er das mitbekäme. In Hessen gibt es mit der AFD eine Partei, die 15 Prozent ehemals konservativen Wählerpotenzials stabil bindet. Das bedeutet letztendlich, dass die CDU dort jetzt nur noch mit den Grünen oder der SPD zusammen regieren kann – also mit Verlierern. Das ist natürlich eine absolut gefährliche Situation für die CDU.

Müsste sie eigentlich mit der AFD gemeinsame Sache machen?

Im Herbst 2024, wenn die Wahlen in Ostdeutschland sind, wird man feststellen, dass am Ende die CDU regieren wird und sich dabei von der AFD dulden lässt.

Sahra Wagenknecht hat mich immer fasziniert.

Was sagen Sie eigentlich zur neuen Partei von Sahra Wagenknecht?

Für mich ist offen, ob das eine Burlesque oder Komödie wird oder ob das etwas Ernstzunehmendes ist. Sahra Wagenknecht hat mich immer fasziniert, dadurch, dass sie im Gespräch immer auf die Argumente des anderen eingeht. Das ist ja nicht überall der Fall. Zweitens hat sie durchaus vernünftige ökonomische Grundeinstellungen. Wie sie die mit ihrem Marxismus vereinbart, ist dann ihre Sache und ihr Geheimnis. Drittens: Sie sieht mit ihrem Mann Oskar Lafontaine, dass letztlich die falsche Art von Einwanderung die sogenannten kleinen Leute, die Mittel- und Unterschicht, die typischen ehemaligen Arbeiterhaushalte, am meisten gefährdet und beschädigt. Aus dieser Mischung wurde jetzt dieser Anlauf zu einer neuen Partei.

Mit welchen Aussichten? 

Das wird man abwarten müssen. Ich habe die Vermutung, dass sie 30 bis 40 Prozent der ehemaligen Wähler der Linkspartei mitnehmen wird. Die Linkspartei wird also von fünf auf vielleicht zwei, drei Prozent schrumpfen. Sie wird einen Teil der SPD-Wähler mitnehmen. Sie wird einen Teil der Ostdeutschen mitnehmen. Sie wird aber letztlich die AFD nicht wirklich einschränken können. Dazu ist die AFD zu etabliert. Am Ende werden wir eine AFD haben, die zwischen 20 und 25 Prozent steht und eine Wagenknecht-Partei, die zwischen acht und zwölf Prozent steht. Dann kommen wir in eine Situation, in der nur noch gemeinsame Regierungen von CDU, Grünen und SPD zusammen gegen diesen Block etwas ausrichten können. Die FDP wird sowieso in höchster Gefahr sein, bei dieser massenhaften Konkurrenz unter die Räder zu kommen. Die CDU ist dabei, sich mit ihrer überzogenen Brandmauern-Diskussion genau in eine solche Ecke hineinzumanövrieren.

Von der Politik zur Wirtschaft: Wie nehme Sie diesbezüglich die Entwicklung wahr?

Zunächst einmal: Dass wir Konjunkturkrisen haben, dass das wirtschaftliche Wachstum auf- und abgeht, dass es den öffentlichen Haushalten finanziell mal besser geht und mal schlechter, dass die Inflation auch mal steigt und dann wieder fällt, das ist normal. Das hat es immer gegeben, solange es Wirtschaft gibt.

Was beschäftigt Sie dann in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht?

Wenn wir uns den langfristigen Trend anschauen, dann sehen wir, dass unsere Produktivität Anfang der Neunziger Jahre mit vier bis fünf Prozent wuchs. Jetzt sind es noch um die 0,5 Prozent. Das heißt, wir haben praktisch kein Produktivitätswachstum mehr. Darum wächst auch die Wirtschaft nicht mehr. Außerdem arbeiten die Menschen mit immer kürzerer Arbeitszeit. Das bedeutet, der Wohlstand kann künftig auch nicht mehr steigen.

Das allein war es aber noch nicht?

Nun kommen mehrere Dinge hinein. Erstens die Energiewende: Die mag klimapolitisch begründet sein – das ist ein weites Feld, das lass ich jetzt mal aus. Jedenfalls führt diese Art von Klimawende dazu, dass die deutsche Industrie in der Welt weniger wettbewerbsfähig wird. Der Kapitalstock wird um Hunderte Milliarden entwertet. Sie wird unseren künftigen Wohlstand negativ beeinträchtigen.

Und ein demographisches Problem haben wir auch noch …

Bisher haben wir profitiert von der großen Zahl der sogenannten Babyboomer. Das waren die Menschen, die zwischen 1955 und 1965 geboren wurden. Jetzt gehen die alle stufenweise in Rente, und dann gähnen am Arbeitsmarkt riesige Löcher, obwohl wir so viel Einwanderung haben. Die Einwanderer, die wir haben, sind größtenteils nicht ausgebildet, um diese Lücken wirklich zu füllen. Also fordert die Regierung noch mehr Einwanderung. Die Einwanderung, die wir künftig bekommen können, kann aber nur aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten kommen. Da müssen wir uns einfach überlegen: Wollen wir diese Art von Einwanderung? Wollen wir uns unseren künftigen Wohlstand damit erkaufen, dass immer mehr Menschen bei uns sind und leben und arbeiten, die aus einem anderen Kulturkreis kommen und durch den Islam geprägt sind? Wenn wir das nicht wollen, müssen wir akzeptieren, dass wir künftig mehr arbeiten müssen, dass wir künftig länger arbeiten müssen und dass unser Lebensstandard für eine Übergangszeit nicht mehr steigen, vielleicht sogar fallen wird. Aber das Problem wird ja in dieser Form gar nicht adressiert.

Alles durch mehr Schulden zu finanzieren, wird in Zeiten gestiegener Zinsen jedenfalls nicht unbedingt einfacher …

Die Schuldenbremse führt dazu, dass man an einer Stelle etwas einsparen muss, wenn man woanders mehr ausgeben will. Wir sehen jetzt, wie das anfängt, die gegenwärtige Regierung zu zerreißen. Habeck möchte die Schuldenbremse lockern und damit die Subventionen für Industriestrom bezahlen. Seine Parteikollegin Lisa Paus möchte mehr Kindergrundsicherung zahlen. Jeder hat andere Ideen, was er alles tun könnte. Die Bahn muss natürlich auch mal reformiert werden, braucht einige zig Milliarden Euro. Die Bundeswehr braucht jetzt die nächste Anschubfinanzierung von 200 Milliarden Euro.

Die Einwanderung aus der Türkei Anfang der Sechzigerjahre war für Deutschland fiskalisch und ökonomisch ein schlechtes Geschäft.

Bisweilen wird die erste Generation der Türken in Deutschland als positives Beispiel für Einwanderung angeführt …

Ich schätze sehr, was türkische Arbeitnehmer in den Sechziger- und Siebzigerjahren bei uns geleistet haben. Aber die gesamte türkische Community in Deutschland mit ihren 3,5 Millionen kostet über die Rentenversicherung, über die Sozialhilfe, über die Arbeitslosenversicherung, über die Gefängnisse, über die anteiligen Kosten der Polizei weitaus mehr, als sie uns an Wertschöpfung je gebracht hat. Insofern war die Einwanderung aus der Türkei Anfang der Sechzigerjahre für Deutschland fiskalisch und ökonomisch ein schlechtes Geschäft. Damals wurden die Zuwanderer aber noch richtig ausgewählt. Heute werden sie ja nicht mal mehr ausgewählt. Und für die Renten des heute einwandernden 25-jährigen Eritreers, der keine richtige Ausbildung hat, muss ja nicht ich zahlen. Dafür müssen Sie zahlen oder Ihre Kinder. Darum ist es für mich auch ganz interessant, dass die Jugend jetzt vor allen Dingen AFD gewählt hat bei den Landtagswahlen. Wer jetzt 18 oder 25 ist, hat einen ganz anderen Ausblick auf die Welt, als der also typische CDU-Wähler, der sich nur darum sorgen muss, ob die nächsten zehn Jahre noch die Rente sicher ist.

Der junge Mensch erlebt vielleicht auch im Alltag eher mal die Konflikte, weil er mehr Kontakt hat mit den Leuten, die da kommen ...

Genau. Er lebt in diesen Vierteln und trifft die Leute in der U-Bahn und so weiter. Der Rentner sitzt in seiner Wohnung, sieht fern oder er arbeitet auf dem Land in seinem Gemüsegarten und bekommt das alles gar nicht so mit.

Welche Zukunft hat angesichts dieser Umstände der Euro?

Ich war in Bonn im Bundesfinanzministerium in der Währungsabteilung, als es mit der mit der Vorbereitung des Euro losging. Nachdem ich zunächst Euroskeptiker war, habe ich gesagt, der Euro könnte auch eine Chance sein für Europa. Die tatsächliche Entwicklung verlief dann weniger positiv. Aber man muss einfach zur Kenntnis nehmen: Der Euro ist da. Er ist in den vergangenen Krisen nicht untergegangen. Ob er noch in 50 Jahren besteht, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen, aber er wird sicherlich noch in den nächsten 20 bis 30 Jahren bestehen.

Letztendlich glaube ich nicht, dass der Euro zugrunde gehen wird an übermäßiger Staatsverschuldung, im Gegenteil.

Sie sehen keine Finanzrisiken für den Euro?

Letztendlich glaube ich nicht, dass der Euro zugrunde gehen wird an übermäßiger Staatsverschuldung, im Gegenteil. Der Euroraum hat seine Schulden in der Summe wesentlich besser im Griff als Länder wie England, die USA oder Japan. Also wenn der Euroraum auseinanderbricht, dann eher, weil der Rahmen einer politischen Union fehlt. Wenn dieser Rahmen aufgrund von Konflikten wegfiele, hätte auch der Euro keinen Bestand mehr.

Wie legen Sie persönlich Ihr Geld an?

Ich war mein Leben lang Beamter und am Ende Politiker. Da verdient man immer ordentlich. Aber letztlich hab ich da keine wahnsinnig großen Vermögenswerte angehäuft, außer einem schönen Einfamilienhaus. Als ich dann als Autor erfolgreich wurde, gab es plötzlich Gelder, für die ich keine unmittelbare Verwendung hatte, weil man ja sein Lebensstil nicht ohne weiteres ändert, nur weil man plötzlich mehr Geld verdient. Dieses Geld habe ich angelegt in Aktien.

Komplett?

Vollständig, weil ich durch meine Tätigkeit in unterschiedlichen Ämtern eine ausreichende Altersversorgung habe. Ich will das Geld aber auch nicht verschwenden, sondern vernünftig anlegen. Dann kann ich es irgendwann an meine Söhne vererben. Da ist die Aktienanlage immer noch die beste.

Ich habe also Aktien, aber keinen ETF.

In welche Aktien investieren Sie?

Ich lege das Geld wie im FAZ-Index an, den es seit den Fünfzigerjahren gibt. Einmal im Jahr wird umgeschichtet, damit es wieder zum Index passt. Ich habe also Aktien, aber keinen ETF, weil hier mein Misstrauen kommt, ob die ETF-Konstruktionen in den Wirren von Weltläufen wirklich halten.

Woher kommt das?

Es gibt eine Sache in der eigenen Familie, die hat mich da geprägt. Mein Großvater in Westpreußen starb nach dem Krieg in einem polnischen Konzentrationslager. Im Lager hat er auf einem Zettel, den er dann seiner Frau zukommen ließ, die Nummern der Daimler-Benz-Aktien, die er mal gekauft hatte, notiert. Mit diesen Nummern haben dann meine Großmutter und meine Mutter nach dem Krieg letztlich diesen Anspruch geltend gemacht und sie bekamen Daimler-Benz-Aktien. Die stiegen im Kurs und durch den Verkauf hatten meine Eltern 1955 das Eigenkapital zum Bau ihres Einfamilienhauses. Ich erinnere mich noch an die Diskussionen zwischen meinen Eltern danach. Meine Mutter sagte: „Wir haben die Aktien gerade verkauft, ehe die so richtig gestiegen sind, das hätten wir nicht tun sollen.“ – „Ja“, sage mein Vater. „Dann hätten wir aber auch kein Haus.“ Da sagte sie: „Ja, da hast du recht.“ Ein halbes Jahr später kam die Debatte wieder hoch. Mir hat sich das insoweit eingeprägt, dass es nicht schlecht ist, einen Teil an physischem Kapital zu haben. Das muss man vernünftig streuen. Wobei ich mich für deutsche Aktien entschieden habe. Man weiß ja auch nicht, wie es im Rest der Welt weitergeht. Das kann aber jeder anders entscheiden. Wenn man einen ETF auf den MSCI World kauft, ist das immer eine vernünftige Geldanlage.

Es wirkt etwas ironisch, dass der Autor von „Deutschland schafft sich ab“ ausschließlich auf deutsche Aktien setzt …

Ich beziehe meine Renten von der Bundesbank und von einem deutschen Unternehmen. Die Renten basieren also auf der deutschen Wirtschaftskraft. Mein Haus und mein Ferienhaus stehen in Deutschland. Ich muss also so oder so auf Deutschland setzen. Ich gebe zu, ich habe einen gewissen Deutschland-Bias. Aber man muss natürlich auch sehen: Auslandsvermögen wurde zweimal in der deutschen Geschichte als Feindvermögen beschlagnahmt. Also das ist auch immer so ein Thema.

Wir sehen jedenfalls im Fall China und USA, wie schnell es auch zu Sanktionen kommen kann. Oder auch die Sache mit Russland-Anteilen. Andererseits sind Sie natürlich auch mit deutschen Aktien global aufgestellt, weil die Unternehmen weltweit Geschäfte machen ...

Unternehmen wie Siemens, Volkswagen, BASF und SAP machen alle ihre Geschäfte größtenteils im Ausland. Zweitens sind die Aktie auch alle größtenteils in ausländischen Portfolios. Das heißt, nur wenn man kriegerische Verwicklungen annimmt, wäre das ein Problem. Aber in dem Fall hätten wie sowieso andere Probleme als die Geldanlage.

Apropos, Elon Musk twitterte neulich, wenn alles so weitergehe, sei ein Bürgerkrieg in Europa unvermeidlich …

Das, was wir zwischen dem Erscheinen von „Deutschland schafft sich ab“ und heute versäumt haben, mit dessen Folgen müssen wir umgehen. Wir können aber jederzeit ab sofort mehr richtig machen als in der Vergangenheit. Diese Option besteht immer. Es besteht allerdings auch die Option, die Augen zuzumachen und genauso weiterzumachen. Darum geht im Augenblick der politische Kampf.